Die Berliner Außenpolitik verstärkt ihre Unterstützung für die schottischen Nationalisten, die ein zweites Referendum zur Abspaltung aus dem Vereinigten Königreich vorbereiten.

In der vergangenen Woche ist Nicola Sturgeon, First Minister der schottischen Regionalregierung sowie Vorsitzende der Scottish National Party (SNP), zu vertraulichen Gesprächen mit Vertretern des außenpolitischen Establishments in der deutschen Hauptstadt empfangen worden. Sturgeon traf nicht zuletzt den Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth (SPD). Offizieller Gegenstand der Zusammenkünfte war der britische EU-Austritt, den Sturgeon und die schottischen Nationalisten erbittert bekämpfen. Tatsächlich hat Sturgeon darüber hinaus um Unterstützung für ihr Vorhaben geworben, Schottland abzuspalten sowie es als eigenen Staat in die EU zu führen. Diesen Plan hatten Berliner Regierungspolitiker schon vor gut drei Jahren offen befürwortet. Allerdings ist die dafür notwendige zuverlässige Mehrheit in der schottischen Bevölkerung bislang nicht in Sicht.

Ein zweites Abspaltungsreferendum

Die schottische Regionalregierung unter First Minister Nicola Sturgeon treibt ihre Kampagne für ein zweites Abspaltungsreferendum unvermindert voran. Vor dem Referendum vom 18. September 2014 hatten die schottischen Nationalisten, darunter Sturgeon, mehrmals erklärt, die Abstimmung, die die Bevölkerung an den Wahlurnen treffe, solle für eine Generation gelten. Als sich allerdings mit 55,3 Prozent eine deutliche Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich aussprach, stellte Sturgeon unmittelbar klar, sie werde sich mit dem Ergebnis keineswegs zufriedengeben und perspektivisch eine erneute Abstimmung anstreben. Den äußeren Anlass dazu bot das Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016, bei dem mit 51,9 Prozent die Mehrheit im Vereinigten Königreich für den Austritt aus der EU votierte, während in Schottland 62,0 Prozent und damit eine deutliche Mehrheit den Verbleib in der EU befürworteten. Sturgeon, deren Regionalregierung bislang ihre Wahlversprechen im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen allenfalls ansatzweise einlöst [1], nahm die deutliche Diskrepanz zum Anlass, um nicht nur zum wiederholten Mal für ein zweites Referendum einzutreten, sondern Schottlands Abspaltungsperspektive direkt mit einem Verbleib in der EU zu verbinden.

Anfeuernder Beifall

Dies hat Politikern der Berliner Regierungsparteien und sogar deutschen Ministern den Anlass gegeben, die Abspaltungsbemühungen der schottischen Nationalisten offen zu befeuern und damit die Zerschlagung eines offiziell verbündeten Landes zu fördern. Schon am 26. Juni 2016 erklärte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für EU-Angelegenheiten, Gunther Krichbaum (CDU), er rechne mit dem „Erfolg“ eines neuen schottischen Sezessionsreferendums; Schottland werde in der EU verbleiben. Anfang Juli 2016 erklärte der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), wenn Schottland aus dem Vereinigten Königreich austrete, werde die EU es „ganz gewiss … aufnehmen“.[2] Am 9. August 2016 wurde First Minister Sturgeon vom Staatsminister im Berliner Auswärtigen Amt Michael Roth zum Gespräch empfangen. Im September 2016 nahm dann der Fraktionsvorsitzende der Scottish National Party (SNP) im House of Commons, Angus Robertson, an einer Klausurtagung der bayerischen SPD-Landtagsfraktion in Bad Aibling teil.[3]

Keine Mehrheit in Sicht

Weder die unverminderte Kampagne der schottischen Nationalisten noch die Unterstützung durch Berlin haben es bislang vermocht, die Stimmung in der schottischen Bevölkerung ernsthaft zu verändern. Umfragen haben bislang kaum je eine Mehrheit für eine Abspaltung ergeben. Für ein zweites Referendum innerhalb von zwei bis drei Jahren hat sich seit Mitte 2017 meist weniger als ein Viertel der Bevölkerung ausgesprochen. Einen kurzzeitigen Umschwung hatte Anfang August der überaus stark polarisierende Amtsantritt von Premierminister Boris Johnson gebracht, der in Schottland wenig Zustimmung findet, weshalb den Tories dort herbe Wahlverluste vorausgesagt werden. In einer ersten Reaktion ergab eine Umfrage Ende Juli, dass sich nun plötzlich 46 Prozent für die Abspaltung vom Vereinigten Königreich aussprachen, nur 43 Prozent hingegen für einen Verbleib.[4] Allerdings ist bereits vergangene Woche eine erneute Umfrage zum gegenteiligen Ergebnis gekommen. Demnach befürworteten 59 Prozent den Verbleib im Vereinigten Königreich; lediglich 27 Prozent unterstützten die Forderung von First Minister Sturgeon nach einem zweiten Sezessionseferendum bereits in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres.[5]

Medienpreis für Sturgeon

Dabei erhalten die schottischen Nationalisten inzwischen erneut ganz offen Unterstützung aus der Bundesrepublik. So hat First Minister Sturgeon in der vergangenen Woche Deutschland zu einer Reihe politischer Gespräche besucht. Am Dienstag, dem 17. September, nahm sie in Potsdam den M100 Media Award entgegen, den ein Gremium von Journalisten aus den deutschen Leitmedien jährlich vergibt. Zu den bisherigen Preisträgern gehören der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (2009), EZB-Präsident Mario Draghi (2012) sowie der ukrainische Politiker Vitali Klitschko, der die Auszeichnung unmittelbar nach dem Umsturz des Jahres 2014 in der Ukraine entgegennahm, den er in enger Zusammenarbeit mit deutschen Stellen herbeizuführen geholfen hatte.[6] Offiziell bekam Sturgeon den Preis, da sie sich im Vereinigten Königreich „als Politikerin mit eindeutig pro-europäischer Haltung“ ausgezeichnet habe.[7] Die Laudatio hielt der Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU); die politische Hauptrede war Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) übertragen worden. Sturgeon machte sich die Chance zunutze, um in ihrer Dankesrede vor prominentem Publikum unmittelbar für ein erneutes schottisches Abspaltungsreferendum zu werben: Schottland werde, bestätigte sie, als ein „unabhängiges Land“ nach der EU-Mitgliedschaft streben.[8]

In vertraulicher Runde

Am Mittwoch, dem 18. September, hat Sturgeon dann auch bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einem der einflussreichsten außenpolitischen Think-Tanks in Berlin, für die Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich und seine anschließende Aufnahme in die EU geworben. Sie sage voraus, „dass Schottland in den nächsten Jahren unabhängig … und zu einem unabhängigen Mitglied der EU“ werde, erklärte sie wörtlich in einer eigens anberaumten Pressekonferenz.[9] Vor dem Auftritt, der von wohlwollender Berichterstattung in Leitmedien der Bundesrepublik begleitet war („Nicola Sturgeon – das nette Gesicht des Nationalismus“ [10]), hatte sie sich laut Auskunft der DGAP „in vertraulicher Runde mit Vertreterinnen und Vertretern aus der europapolitischen Fachcommunity ausgetauscht“. Zudem traf sie, gleichfalls vertraulich, mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth zusammen. Roth lobte danach via Twitter das „positive Verhältnis zwischen Deutschland und schottischen Amtskollegen“.

Ins Aus geführt

Mit seiner Unterstützung für die schottischen Nationalisten pokert Berlin hoch. Machtpolitisch schiene es für die Bundesrepublik vorteilhaft zu sein, sollte es gelingen, die Abspaltung Schottlands und seine Aufnahme in die EU durchzusetzen: Großbritannien wäre erheblich geschwächt; Deutschland und die EU dagegen wären durch den EU-Beitritt eines neuen, von Berlin abhängigen Mitgliedstaates ein wenig gestärkt. Allerdings ist nicht nur unklar, ob Schottlands Abspaltung durchgesetzt werden kann. Auch wenn sie gelänge, wäre die Aufnahme des Landes in die Union überaus ungewiss: Mehrere EU-Staaten, darunter Spanien, lehnen jede Einbindung von Separatisten ab, weil sie selbst von Sezessionsbestrebungen bedroht sind. Ein isolierter Verbleib eines abgespaltenen Schottlands außerhalb der Union wäre nach gegenwärtigem Stand durchaus wahrscheinlich. Berlin hätte seine schottischen Parteigänger dann in eine missliche, von ihnen nicht gewünschte Lage geführt.

Nicht der erste Pyrrhussieg

Hinzu kommt, dass London die deutsche Unterstützung für die schottischen Nationalisten kaum umstandslos hinnehmen wird. Aktuelle Planungen der Bundesregierung sehen vor, mit dem Vereinigten Königreich auch nach seinem Austritt aus der EU eng zusammenzuarbeiten, um in einem europäischen Block mit den USA rivalisieren zu können (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Dies gilt aus politischen, besonders aber auch aus militärischen Gründen in der deutschen Hauptstadt als wünschenswert. Dass sich dieses Vorhaben realisieren lässt, sollte Berlin zum Zerfall Großbritanniens beitragen, darf nun allerdings bezweifelt werden. Eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich unter tatkräftiger Hilfe Berlins wäre nicht der erste deutsche Pyrrhussieg.

 

[1] Kevin McKenna: Nicola Sturgeon’s strike for independence should not let the SNP off the hook. theguardian.com 28.04.2019.

[2] S. dazu Das Druckmittel Sezession.

[3] S. dazu Das Druckmittel Sezession (II).

[4] Simon Johnson: Nicola Sturgeon hails „phenomenal“ new poll showing majority for Scottish independence. telegraph.co.uk 05.08.2019.

[5] Simon Johnson: Independence referendum fifth anniversary poll shows six out of 10 Scots want to remain in UK. telegraph.co.uk 17.09.2019.

[6] S. dazu Unser Mann in Kiew.

[7] Nicola Sturgeon erhält M100 Media Award. m100potsdam.org 02.09.2019.

[8] Acceptance Speech of Nicola Sturgeon. m100potsdam.org.

[9] Schottland sieht seine Zukunft in der EU. dgap.org 18.09.2019.

[10] Albrecht Meier: Nicola Sturgeon – das nette Gesicht des Nationalismus. tagesspiegel.de 18.09.2019.

[11] S. dazu Ein gefährliches Spiel.

 

Hinweis: Dieser Artikel ist auch auf Englisch verfügbar.

 

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