Als „Die Partei“, die sich zu Beginn aus Mitgliedern der Titanic-Redaktion rekrutierte und mit einem  Parteiprogramm auf Stimmenfang ging, das eindeutig den hedonistisch albernen und flamboyanten Hirnen der Mitglieder des führenden deutschen Satiremagazins zuzuordnen war, urplötzlich einen Sitz in den heiligen Hallen der hehren europäischen Idee ergatterte, war die Empörung unter „ernst zu nehmenden“ Berufspolitikern und in etlichen Medien groß.

Gemeinsamer Tenor: Eine Spaßpartei gefährdet die Demokratie. Das durfte sie mit 184.709 Wählerstimmen oder 0,6% der abgegebenen Stimmen laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das von den etablierten Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und ja auch den Grünen (hallo Leute, geht’s noch?!) extra angerufen wurde. Da kommt man als mündige Bürgerin schon ins Grübeln, besonders, wenn es um einen einzigen Sitz geht und die eigene Stimme plötzlich nichts mehr wert sein soll, nicht einmal bei der Wahl. Seitdem verfolge ich die umstürzlerischen Umtriebe des Herrn Sonneborn, dessen süffisantes, kaum wahrnehmbares Lippenspiel sich in Youtube-videos wunderbar in die geposteten Inhalte einfügt.

Die EU wackelt, manche mögen sie für eine reine Lobbyorganisation halten, die Idee dahinter ist dennoch großartig und wichtig. Aber wie funktioniert das Europaparlament, welche Funktionen und Aufgaben gibt es und wie muss man sich das Leben eines Abgeordneten vorstellen?

Trocken erzählte, wunderbar subjektive Eindrücke sind hier zu finden, die tatsächlich demokratiegefährdend sein könnten, wobei die beim Lesen aufkommende Politikverdrossenheit nicht dem Autor zuzuschreiben ist, sondern dem Blick hinter die Kulissen. Martin Sonneborn präsentiert FunFacts rund um sein Abgordnetenleben, das man sich, da er gewollt fraktionslos ist („… der Abschaum des Parlaments…“) wenig glorios vorstellen mag. Witzig, skurril, bizarr und erschreckend ist es und bei etlichen von Sonneborn locker daher erzählten Anekdötchen haben sich mir die Zehennägel aufgerollt. Dabei liest sich des Autors Einblick in die europapolitische Arbeit erfrischend knackig und satirisch hochwertig und mühelos, denn Sonneborn muss sich nicht anstrengen, die Witze liefern die anderen. Besonders gefiel mir seine Einladung Georg Schramms und dessen Rede zum Thema  „Ist die Zeit der Hofnarren vorbei?“

Wegen der vielen Interna aus dem Europaparlament ist Martin Sonneborns Insiderbericht eine völlig unverschleierte Wahlwerbung für seine Partei. Sonneborn, der seine Magisterarbeit über „Die absolute Wirkungslosigkeit moderner Satire“ schrieb, konnte im EU-Parlament doch etwas bewirken. Seine Hofnarrentätigkeit rief Unwillen hervor – Ablehnung der Mächtigen und genau hier sollten politisch interessierte Bürger aufmerksam werden. Sehr aufmerksam!

Mein Sachbuchhighlight im noch recht frischen Jahr 2019, von dem ich glaube, dass es schwer zu toppen sein wird, da  hier Information mit Satire und Humor eine umwerfende Verbindung eingegangen sind. Dürfte ich mir etwas wünschen, wären es viele Leser für dieses von mir mit dem Dodo-Award* ausgezeichneten Werk zur Systemkritik.

Herr Sonneborn geht nach Brüssel – Ein Abenteuer im Europaparlament von Martin Sonneborn ist im März 2019 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Weitere sachdienliche Informationen bei Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.

*Mein persönlich vergebener, rein subjektiver Buch-Award für herausragende schriftstellerische Leistungen, meist an Humor geknüpft.

Der Originalartikel kann hier besucht werden