Unsere Zivilisation schwang sich mit ihrer Zerstörungswut und Gier zum Herrscher der Welt auf und vergaß, dass sie aus lebendigen Wesen besteht. Wenn Menschen die Verbindung zu den Mysterien des Lebens verlieren, leben sie in der Scheinwelt des Materialismus und merken nicht, dass sie ohne die nötige Demut vor der Schöpfung ihre eigene Lebensgrundlage zerstören. Doch immer mehr von uns wachen auf. Was erwartet uns und was können wir tun? Hören wir endlich auf die Weisheit der Naturvölker.

Das hat mich nun wirklich erschreckt: In einem US-amerikanischen Lokalsender verkündete der Oglala-Lakota Vine Abhilasha den Entschluss seines Stammes, die spirituelle Hilfe für die weiße Rasse ab sofort einzustellen. Abhilasha — was so viel wie Sehnsucht heißt — sagte wörtlich:

„Erst wenn die Zivilisation von der Erde und aus euren Herzen verschwunden ist, werden wir euch beibringen, wie man lebt. Bis jetzt waren wir ziemlich erfolglos in unserem Bemühen, euch das verständlich zu machen. Bisher habt ihr nur versucht, aus dem, was wir euch gesagt haben, Geld zu machen oder es auf euer zerstörerisches System zu übertragen. Also werden wir bis zum Ende der Zivilisation in aller Stille an unseren Traditionen und an unserem Leben festhalten. Hinterher werden wir euch, wenn ihr zu uns kommt, helfen.“

Wer diese Botschaft locker wegstecken kann, anstatt sie beschämt zur Kenntnis zu nehmen, ist nur ein weiteres Molekül im Sauerteig unserer Zivilisationskultur, die ausschließlich der Gier gehorcht — von oben nach unten, von innen nach außen, auf individueller wie auf gesellschaftlicher Basis.

Unsere Zivilisation beruht auf der systematischen und absoluten Vermeidung von Verantwortlichkeit. Es ist allerhöchste Zeit, dass sie sich das Genick bricht, bevor sie uns in den kollektiven Untergang reißt und dabei auch noch alles andere Leben aus dem Gleichgewicht bringt. Der von mir sehr verehrte Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem, 1921 bis 2006, schrieb:

„Die Zivilisation ist ein Schiff, das ohne Pläne gebaut wurde und führerlos dahin schlingert. Es fehlt ihr an spiritueller Verbundenheit, mit deren Hilfe sie bewusst einen Kurs hätte wählen können, der eben nicht in die Katastrophe mündet. Stattdessen lässt man sich von den Strömungen zufälliger Entdeckungen treiben und vertraut blindlings den Angeboten, die kurzfristig größtmöglichen Profit versprechen. Wir haben uns auf ein Spiel mit der Natur eingelassen und dabei eine Partie nach der anderen gewonnen. Aber wir lassen uns derart in die Konsequenzen unserer Siege verwickeln, dass statt einer vernünftigen Strategie nur vordergründige Taktik betrieben wird.“

Natürlich wäre es sehr viel angenehmer, wenn wir diesem zerstörerischen Trieb mit einem veränderten Bewusstsein begegnen könnten. Vor dem Hintergrund eines global kollabierenden Wirtschafts- und Ökosystems nimmt sich das Tempo, in dem die Menschen sich selbst und ihrem Treiben bewusst werden, allerdings bescheiden aus.

Hinzu kommt, dass wir inzwischen auf einem gigantischen Minenfeld leben und Gefahr laufen, dass uns die Hinterlassenschaften aus der Atomindustrie, die Kriegslüsternheit der Machteliten, die weltweiten sozialen Verwerfungen, die Folgen der Genmanipulation und des Geoengineerings und vieles andere mehr jederzeit um die Ohren fliegen können. Eine kleine Initialzündung auf dem globalen Minenfeld würde schon reichen, um eine katastrophale Kettenreaktion auszulösen.

Vergessen wir das, es ist ohnehin nicht mehr zu ändern. Wenden wir uns lieber der eigenen Entwicklung zu, anstatt in Angststarre zu verfallen. Was gibt es angesichts der trostlosen Umstände besseres zu tun?

Wichtig ist, wie die Schamanin Dhyani Ywahoo vom Stamm der Cherokee sagt, dass der Einzelne nicht in die Rolle verfällt, sich für die Zwietracht und Unausgewogenheit auf der Erde schuldig zu fühlen. Das wäre, als würde ein geschlagenes Kind glauben, es hätte die Prügel verdient, um dann ein ganzes Leben in dem Gefühl zu verbringen, nichts zu taugen, nur weil man in ein finsteres Zeitalter hineingeboren wurde.

Es ist nicht leicht, den Steinschlägen eines kollabierenden Wirtschaftssystems zu entkommen. Aber vermutlich braucht es diese Steinschläge, vermutlich braucht es diese Verletzungen und Härten, damit sich die Menschen wieder daran erinnern, dass ihr Leben unter der Decke der Zivilisation erstickt wird, einer Zivilisation, die keinerlei Verbindung zu den Mysterien der Schöpfung zulässt.

Das Gute daran ist, dass Milliarden von Menschen durch die katastrophalen Verhältnisse auf diesem Planeten allmählich gezwungen werden, die engen Grenzen, die ihnen das kapitalistische Giersystem auferlegt, radikal zu überdenken. Eine solche Bestandsaufnahme tut weh. Verstand und Intellekt beiseite zu lassen, zu akzeptieren, dass die materielle Welt, so wie sie wahrgenommen wird, eine Illusion, ein Betrug ist, tut weh. Und genau an dieser Stelle hätten wir den spirituellen Beistand der Naturvölker bitter nötig. Dass sie uns diesen Beistand nun verweigern, müsste uns eigentlich gehörig zu denken geben. Tut es aber nicht, da es ja gerade unsere Unbelehrbarkeit ist, die sie zu diesem Schritt veranlasst hat.

Wenn wir ihnen zuhören würden, könnten sie uns helfen, die künstliche Teilung zu überwinden, die die Zivilisation zwischen der menschlichen Gemeinschaft und unseren Mitwesen auf diesem Planeten verursacht hat. Sie könnten uns helfen, die Tricks zu durchschauen, mit der uns die herrschende Machtelite vom wahren Leben fernhält. Es gibt nur eine Gemeinschaft und sie lebt und stirbt als Einheit.

Jedes Übel, das wir der natürlichen Welt zufügen, verschlechtert die menschliche Welt. Mit jeder Kultur, die der unersättlichen Lebensweise der Zivilisation zum Opfer fällt, werden die Träume ihrer Angehörigen ausgelöscht. Also müssen wir Orte der Zuflucht schaffen. Orte, die frei sind von Schrecken und Ausbeutung, Orte, in denen wir heilende und nährende Beziehungen entwickeln können — zu den Tieren und Pflanzen, zu unserem Land, zu den Sternen, zur Kunst, zu unseren Mitmenschen und nicht zuletzt zu uns selbst.

Die Orte in uns selbst, die wir geschützt halten vor Schrecken und Angst, können uns daran erinnern, was es heißt, Mensch zu sein. Wir dürfen Bescheidenheit nicht länger nur unter dem Aspekt des Verzichts sehen, sondern vor allem unter dem des Gewinns. Als ein Schlüssel, der nicht nur Zugänge verschließt, sondern viele neue Tore öffnet.

Es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die diesen Bewusstseinswandel vollzogen haben, und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo, und es passiert jetzt. Die Vertreter des alten Systems wissen das. Sie wissen, dass ihre Richtlinien, Normen und Werte nicht mehr funktionieren.

Sie wissen, dass ihre Waffen stumpf sind, wenn die „Shambhala-Krieger“ den Kampf aufnehmen. Wir alle können Mitglieder dieser mächtigen Armee werden. Es ist ganz einfach. Schauen wir auf die Shambhala-Prophezeiung, die uns durch Joanna Macy (Die Welt als Geliebte) in Erinnerung gebracht wurde. Die Stimme der inzwischen 89-jährigen Vertreterin der „Tiefen-Ökologie“ hat weltweit Gewicht in der Friedensbewegung und im Umweltschutz [1].

Die Prophezeiung über das Königreich Shambhala geht auf das Jahr 800 nach Christus zurück und stammt aus Tibet. In ihr ist davon die Rede, dass das Königreich hervortritt, wenn alles zukünftige Leben am seidenen Faden hängt. Shambhala ist keine geographisch-politische Einheit. Es existiert in den Herzen und Köpfen der Shambhala-Krieger und -Kriegerinnen. Choegyal Rinpoche, der Freund und Lehrer Joanna Macys, drückte es folgendermaßen aus [2]:

„Es kommt die Zeit, wo große Tapferkeit des Herzens und Unerschrockenheit des Handelns von den Shambhala-Kriegern verlangt ist, denn sie müssen geradewegs in die Zentren der barbarischen Mächte gehen, in die Löcher und Höhen und Zitadellen, wo die Waffen verwahrt werden, und sie müssen diese Waffen entschärfen. Die Shambhala-Krieger haben den Mut, dies zu tun, weil sie wissen, dass diese Waffen ‚manomaya‘ sind, ‚geistesgemacht‘. Vom menschlichen Geist geschaffen, können sie auch vom menschlichen Geist entschärft und zerstört werden.

Die Shambhala-Krieger wissen, dass die Gefahren, die alles Leben auf der Erde bedrohen, nicht von außerirdischen Mächten, satanischen Gottheiten oder der Vorsehung eines bösen Schicksals ausgehen. Sie erwachsen aus unseren Entscheidungen, aus unserer Lebensweise und aus unseren Beziehungen.“

Und Rinpoche fährt fort:

„Unsere Waffen sind Mitgefühl und Einsicht. Beide sind notwendig. Du brauchst das Mitgefühl, denn das ist es, was dir den Antrieb, die Kraft, die Leidenschaft gibt, etwas zu tun. Wenn du dich dem Schmerz der Welt öffnest, kommst du in Bewegung und handelst. Aber diese Waffe allein genügt nicht. Sie kann dich ausbrennen, erschöpfen, deshalb brauchst du die andere — du brauchst die Einsicht in die radikale wechselseitig bedingte Abhängigkeit aller Phänomene. Diese Weisheit macht dir klar, dass es hier überhaupt nicht um den Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen geht, denn die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft mitten durch jedes menschliche Herz.

Mit dieser Einsicht in unsere tiefe Verflochtenheit weißt du, dass alles, was aus reinem Herzen getan wird, sich durch das gesamte Gewebe des Lebens ausbreitet, weit über das hinaus, was messbar oder wahrnehmbar ist. Doch diese Einsicht allein dürfte zu kühl, zu vernunftbezogen sein, als dass sie dich in Bewegung halten könnte — deshalb brauchst du die Hitze des Mitgefühls. Erst gemeinsam können diese beiden uns zu beharrlichen Verfechtern eines gesunden Wandels machen. Sie sind uns gegeben, damit wir sie annehmen und zur Heilung unserer Welt nutzen.“

Wir haben es in der Hand. Jederzeit. Also packen wir es an.

Und wenn wir schon nicht auf die spirituellen Ratschläge aus Tibet oder anderswo hören wollen, so sollten wir uns zumindest die Aussage des Königsbergers Immanuel Kant, des Philosophen der Aufklärung („Kritik der reinen Vernunft“), zu Herzen nehmen:

Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.

Dieser Beitrag wurde bei Rubikon erstveröffentlich und von unserem Medienpartner Neu Debatte unter Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 übernommen.

Quellen und Anmerkungen:

[1] Hier der Link zu ihrer Website: https://www.joannamacy.net.
[2] Das Zitat des Choegyal Rinpoche stammt aus „Die Wiederentdeckung der sinnlichen Erde“ von Joanna Macy.


Dirk C. Fleck (Jahrgang 1943) ist freier Journalist und Autor aus Hamburg. Er machte eine Lehre als Buchhändler, besuchte danach in München die Deutsche Journalistenschule und absolvierte Mitte der 1960er ein Volontariat beim „Spandauer Volksblatt Berlin“. 1976 siedelte er wieder nach Norddeutschland über und arbeitete bei der „Hamburger Morgenpost“, wo er Lokalchef wurde. Später war er Chefredakteur des „Hanse-Journal“, Reporter bei „Tempo“ und Redakteur bei „Merian“. Er arbeitete im Auslandsressort der Wochenzeitung „Die Woche“ und schrieb ab Mitte der 90er Jahre als freier Autor und Kolumnist für Tageszeitungen (u.a. Die Welt) und Magazine wie zum Beispiel Stern, GEO und Spiegel. Seit den 1980ern setzt er sich journalistisch mit den ökologischen Folgen der zügellosen kapitalistischen Wirtschaftsweise auseinander und verarbeitet seine Erfahrungen, Überlegungen und Recherchen in Romanen. Das Buch „Palmers Krieg“ erschien 1992 und beschäftigt sich mit der Geschichte eines Ökoterroristen. „GO! Die Ökodiktatur“ (1993) ist eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Ökozid. Außerdem erschienen von Dirk C. Fleck die Bücher „Das Tahiti-Projekt“ (2008), „MAEVA!“ (2011), „Die vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten“ (2012) und „Feuer am Fuss“ (2015).

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