Eugen Drewermann sprach auch dieses Jahr wieder an der Abschlussdemonstration der ‚Stopp Air Base Ramstein‘ Aktionswoche vor den Toren der Militärbasis. Der deutsche Theologe, Psychoanalytiker und kirchenkritische Publizist kann ohne Übertreibung als das Gewissen der Nation bezeichnet werden. Mit seinem scharfen Intellekt und einer tiefen und ehrlichen Empörung prangert er die Gräuel des Krieges und die Verwicklung Deutschlands an. Ohne Pathos aber mit eindringlichen emotionalen Sinnbildern verdeutlicht er unsere Mitverantwortung und unseren Handlungsbedarf in diesem historischen Moment.

Aus diesem Grund veröffentlichen wir hier die vollständige Rede von Eugen Drewermann.


Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

von Herzen danke ich ihnen für das Engagement am heutigen Nachmittag gegen die amerikanische Air Base in Ramstein zu protestieren.

Wir müssen das tun, um in die deutsche Bevölkerung ein Bewusstsein für das Problem dieser Einrichtung zu schaffen. Rammstein ist nicht eine der 600 globalen amerikanischen Militärbasen. Sie ist die wichtigste Zentrale im Drogenkrieg, im internationalen Krieg, den die Amerikaner bei der Regime-Change Politik im Nahen Osten führen. Hier in Ramstein sind nicht nur 16.000 amerikanische Soldaten stationiert. 2013 hat man hier das Satelliten-Relais hingestellt indem die Drohnenoperator-Daten aus Nevada und New Mexico zusammenlaufen. Die Daten aus den Kelley Barracks in Stuttgart, wo das Africom gesteuert wird und wo in einer schönen Stadt bei Stuttgart die Hydra ihre Heimat hat, krakenförmig in die Welt zu greifen für Joint Special Operations, die global vernetzt jeden Punkt der Welt als Kampfziel erklären können und wollen.

Genau darum müssen wir gegen die Internationale eines Terrorkriegs, der auf Mord und Verbrechen hinausläuft gemeinsam protestieren und wir sagen eindeutig, wir sind nicht länger Willens der Flugzeugträger der Amerikaner zu sein.

Frau Wagenknecht hat es bereits gesagt, im Grundgesetz steht, dass von deutschem Boden niemals Krieg ausgeht. Herr Obama aber hatte nötig in der Berlinrede 2013 zu erklären, natürlich führen die Amerikaner von Deutschland aus keinen Krieg und Frau Merkel saß dabei und nickte es ab, wie freundlich doch. Wir müssen dieses Doppelsprechen der Amerikaner nur mal ins Hochdeutsche übersetzen. Nicht von Ramstein aus aber über Ramstein unvermeidbar, weil ohne Ramstein überhaupt die ganze Welt kein Angriffsziel sein kann.

Das müsste Frau Merkel endlich wissen, zugeben und diesen Skandal gegenüber dem deutschen Grundgesetz den Amerikanern untersagen.

Was die USA in Ramstein machen, ist nicht nur gegen deutsches Recht. Es ist gegen jedes internationale Recht. Wir haben in Deutschland gelernt, dass niemals mehr ein Mensch sich das Recht nimmt, über das Leben eines anderen Menschen zu urteilen. Generell sind wir gegen die Todesstrafe. Nicht daran hält sich die amerikanische Rechtsphilosophie. Sie tötet mit der Todesstrafe immer noch in Huntsville Texas in Serie. Schlimmer aber ist dieses, sie tötet eigentlich beim Drohnenkrieg keine Menschen, sie schaltet lediglich irreguläre Kämpfer aus, für die nach amerikanischer Auffassung nicht einmal das Kriegsrecht anwendbar ist.

Diese haben keinerlei Rechte, sie sind zu töten, wie wenn man einen Stein wegschiebt, der einem hinderlich im Wege ist. So behandelt man nicht Menschen und damit muss Schluss sein.

1789 in der französischen Revolution fing man an, alles was der Revolution entgegenstand in Serie zu töten. Und man erfand dabei so praktisch die Guillotine. Man hatte damals 1789 mindestens noch nötig zu Gericht zu sitzen und einen Beschluss herbeizuführen. Die Drohnenmorde, die von Ramstein ausgeführt werden, haben keinerlei juristische Grundlage und sie sind schlimmer als jede Guillotine, außergerichtlich, illegal, mörderisch, verbrecherisch, globalisiert. Denn jeder Ort der Welt ist heute mit den Drohnen erreichbar. Deswegen müssen wir alleine vom juristischen und moralischen Standpunkt den Amerikanern das Handwerk legen hier in Ramstein und an allen Orten wo sie dieselbe Praxis anstreben.

Es ist uns egal ob sie das von Polen aus versuchen, von Deutschland oder von Hawaii aus. Überall ist ein Verbrechen ein Verbrechen und es wird nicht besser dadurch, dass Amerikaner es begehen.

Wir haben heute die Situation, dass Amerika immer noch glaubt mit militärischen Mitteln die Welt beherrschen zu können. Sie wollen die Größten sein mit 600 bis 700 Milliarden Dollar jedes Jahr für Rüstung und dann behauptet die Nato, dann behauptet der Stoltenberg, dann assistiert Frau von der Leyen bei der Behauptung, Russland bedroht uns. Russland und China zusammen geben nicht ein Drittel der Rüstungsbudgets aus, die Amerika und die Nato gemeinsam verplempern.

Über 1000 Milliarden Dollar, das ist das Budget der Amerikaner. Seit wann ist jemand groß bloß, weil er die Todesmaschinerie maximiert, perfektioniert, globalisiert und vollkommen skrupellos an jedem Ort der Welteinzusetzen willens ist.

Was wir heute erleben ist das deutliche Unrecht bei der Vision, die um 1820 Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatte. Der deutsche Philosoph dachte sich, dass die Rationalisierung des Militärs dialektisch von allein den Frieden schaffe. Man brauche nicht länger mehr einen Krieg zu führen, bei dem auf den Schlachtfeldern ein Gottesurteil gesprochen wird über Gut und Böse. Wenn nämlich die Kriegsmittel so verteilt sind, dass sie eindeutig kalkulierbar werden wie eine Mathematikaufgabe. Niemand mehr glaubte der deutsche Philosoph wird in einen Krieg ziehen, wenn sicher ist, dass er ihn verlieren wird.

Das genaue Gegenteil erleben wir heute. Die Rationalisierung des Militärs führt zu Irrationalisierung des Krieges. Es ist das erste Mal, dass wir einen Krieg führen, mit Selbstmord töten, mit einer Soldateska, die bereit ist zu sterben und ihren eigenen Körper als einzige Waffe einsetzt. Das was bei den Nazis bei den Rammjägern 1945 für pervers galt, bei den Kamikazeeinsätzen der Japaner, das Ende militärischer Vernunft, genau das passiert im sogenannten Antiterrorkrieg.

Nelson Mandela hatte völlig recht mit Blick auf die Israel-Politik im Umgang mit den Palästinensern und mit Blick auf die Amerikaner im Antiterrorkrieg. Für jeden getöteten Terroristen entstehen 10 weitere Terroristen. Denn wie auch nicht? Alleine das Gefühl der Ohnmacht, ständig das Summen der Drohen in den Ohren, permanent die Bedrohung, um dann mitzuerleben, dass die Präzision, die man sich bei dieser Art von Mord eingebildet hat, in keiner Weise funktioniert, schafft ein Gefälle von Gewalt, das auf diese Art mit militärischen Mitteln in keinem Fall mehr zu lösen ist. Subjektiv ist es ein Wahn, wir töten die Bösen und je mehr Böse wir töten desto besser wird die Welt.

Objektiv ist es ein Verbrechen und beides läuft darauf hinaus, dass wir selber als die Allerbösesten inmitten einer Welt agieren, die ständig friedensunfähiger wird durch unsere eigenen Taten.

Ramstein ist der Schlüssel der amerikanischen Militärpolitik, also ist es nicht ganz unfair Clausewitz zu zitieren, man muss den Gegner an dem schwächsten Punkt seiner Front angreifen und das ist Ramstein. Wenn wir die deutsche Bevölkerung dahin bekommen, Ramstein nicht länger zu dulden, ist der Austritt aus der Nato wie selbstverständlich, die Pazifizierung Europas, das sichere Ziel. Und wir verbauen der militärischen Rüstung den Weg in die Zukunft, wenn wir Ramstein lahmlegen. Denn genau das ist geplant, die Drohnenkriege sind das Vorbild für die Kriegsführung von morgen. Frau Minister von der Leyen ist dabei mit den Franzosen gemeinsam ein Future Combat Air System aufzubauen. Man kann nur sagen Frau von der Leyen, wenn das ihr Future ist, unsere Zukunft soll und wird das niemals werden, für uns nicht, für unsere Kinder nicht, für niemanden.

In diesem Future Combat Air System ist inbegriffen, dass wir Flugzeuge haben, bei denen die Drohnen wie selbstverständlich mit eingesetzt werden. Eine integrierte Luftkampfführung die ungefähr in 20, 30 Jahren für riesige Aufrüstungsgelder das Licht der Welt erblicken soll.

Europa als eine international agierende Militärmacht zu Luft, zu Wasser und zu Lande. Das brauchen wir nicht, denn das ist nicht die Zukunft. Das sie ist die Verhinderung der Zukunft.

Wir stehen davor, dass mit großer Verve künstliche Intelligenz in die Militärstrategie integriert werden soll. Und wir hören sagen, die künstliche Intelligenz darf man nicht verteufeln, sie leistet wirklich Gutes zum Beispiel im Raum des Medizinischen, bei der Früherkennung, Diagnostik und der Therapieform. Das alles wird so sein. Geistig aber sind wir in der gleichen Situation wie in den fünfziger Jahren gegenüber der Entwicklung der Nuklearwaffen. Auch da erzählte man uns, Bestrahlung kann ja dem Organismus gut tun und alles was dem Organismus gut tut, kann ihn auch vernichten. Genau das ist der Fall, wenn wir die künstliche Intelligenz im Militär zulassen. So ist es geplant und so soll es kommen.

Wohlgemerkt scheibchenweise nicht erklärt, nicht als Programm, aber nach und nach. Schon sind wir dabei von Israel einen Drohnentyp zu leasen, den wir auch bewaffnen können. Schon sind wir dabei mit den Franzosen gemeinsam eine europäische Drohne, die man nicht nur bewaffnen kann, sondern militärisch einsetzt, herzustellen.

Scheibchenweise sollen wir uns auf den Krieg der Zukunft mit künstlicher Intelligenz vorbereiten und wir sagen, Frau Merkel diese Scheibchen ihrer Blutwurst wollen wir nicht. Davor spucken wir aus.

Und vor allem sagen wir das den Jugendlichen, den 16 bis 18-jährigen, die zu denen Frau von der Leyen ihre Offiziere schickt, um ihnen klar zu machen wie man in Combative Games miteinander schon mal spielerisch den Drohnenkrieg vorbereiten könnte. Vor Augen haben sie einen Mann wie Brandon Bryant, der von 2005 bis 2011 Bildanalyst und einer der Computer Operatoren war. Am Ende seiner Tätigkeit glaubte er, verantworten zu müssen, dass er 13 Menschen getötet hätte. Er erschrak darüber, aber beim Abschied gab man ihm die Tabelle von 1621 Toten. Ich frage sie, wie lebt man mit 1621 Toten. Befehlsgemäß in Pflichterfüllung, im Haushalt des Unmenschen, außergerichtlich, verbrecherisch, Räderwerk in einer Maschinerie des Todes, der ein vernünftiger Mensch freiwillig niemals wird zugehören dürfen. Was sagen wir in den Universitäten, wenn die Professoren bei der digitalen Bildungsoffensive weiter bereit sind, künstliche Intelligenz ins Militär einzuschleusen. Da haben sie Liza Lin vor sich, eine Frau die in den Jahren 2007 bis 2009 die Karten analysiert und militärische Kombinationen über mögliche Tagesziele anstellen sollte, also die mit Drohnen, mit Hellfire Raketen anzugreifen wären. In den zwei Jahren kam Liza Lin auf die unglaubliche Zahl von 121.000 potenziellen Zielen auf dieser Erde. Die lassen sich alle abarbeiten je nach Umstand. Wer nicht begreift, dass er damit jede Schwelle überschreitet, verdient nicht mehr in die Zukunft als in eine Hoffnung hinein zu schauen.

Wir sind wie in den fünfziger Jahren genötigt, dass wir Dürrenmatts Physiker noch einmal aufführen. Wenn die Welt verrücktspielt, muss die Intelligenz sich verweigern mitzumachen.

Dann kommt der menschliche Faktor hinzu. Alles das ist furchtbar, sobald wir beginnen es wirklich zu sehen. Grade feiern oder begehen wir im Gedenken den 16. März 1968 den Angriff auf Mỹ Lai. Am letzten Sonntag hat Christoph Felder den Film „My Lai Inside“ herausgebracht und dabei einen der Soldaten des Massakers von mehr als 400 Zivilisten zur Sprache gebracht. Dieser Mann sitzt da und erklärt, was jedem der sich heute zum Militär meldet, freiwillig, blühen wird. Den ersten zu töten ist sehr schwer, du überschreitest eine Grenze, beim zweiten ist es weniger schlimm, beim dritten verlierst du jegliches Gefühl, und beim vierten Toten denkst du, das ist Krieg. Der Mann, der so sprach war kurz danach freiwillig aus dem Leben gegangen, weil dies kein Leben ist, dass man nur verteidigen soll durch Massenmord, befohlen durch Captain Ernest Medina, ein Mann, der nie vors Kriegsgericht gestellt wurde. Was töten bedeutet ist mir unvergesslich durch die Rede eines Kampfpiloten der Royal Air Force 1943. Admiral Harris hatte die Hansestadt Hamburg in der Operation Gomorrha dazwischen genommen, um die Häfen zu blockieren. ‚Around the clock bombing‘, bei Tag die Amerikaner, bei Nacht die Briten. 43.000 Tote in einer Nacht im Feuersturm von Hammerbrook. Das war der Auftakt. So sollte es werden und Harold Nash sah und sagte: „Wir sahen es unter uns liegen wie ein schwarzes Band bestickt mit Perlen und wussten dennoch, dass das was wir am Boden anrichten, schlimmer als Dantes Inferno ist. Aber wir sahen ja nur Feuer, wir sahen keine Menschen.“ Ich bitte Frau von der Leyen, Mutter von sieben Kindern, endlich die Menschen zu sehen, über die sie den Tod in Vorbereitung präpariert, adjustiert und zensiert.

Ich höre sagen, dass was wir hier treiben, diene der Sicherheit. Eine größere Lüge als diese hat es eigentlich nie gegeben. Militärpolitik schafft Unsicherheit, Frieden kann nur kommen durch Gespräch, Vertrauen und Gegenseitigkeit geschaffen werden, aber nicht durch die Attitüde, wir sind die Größten und wir diktieren es euch. Das kann nicht Frieden schaffen, sondern nur den Hass vermehren.

Dann findet die Absurdität ihren Gipfel, Frau Wagenknecht hat schon darauf hingewiesen, 68 Millionen Flüchtlinge stehen in Afrika und möchten hinüberkommen nach Europa. Die Länder, aus denen sie kommen, ausnahmslos, sind diejenigen die wir seit 2001 um und um zerbombt haben: Afghanistan, Somalia, Sudan, Libyen, Syrien, Jemen. Der einzige Flüchtlingssektor, den wir nicht linear kausal verursacht haben, sind die Rohingya in Myanmar.

An allem Flüchtlingselend sind wir im Westen mit unserer Militärpolitik selber die Hauptursache. Und dann haben sie die Nerven in Brüssel zu erklären, die Hauptform mit Menschenelend umzugehen, sei in den nächsten zwei Jahren Frontex aufzustocken.

Militär um weiterzumachen, KZ ähnliche Einrichtungen in Nordafrika, der alte Schily-Plan, damals geplant in Libyen. Da gab es aber noch den Diktator Gaddafi, den haben wir inzwischen ermordet und seitdem ist Libyen der offene Korridor für Flüchtlinge aus Afrika in alle Richtungen. Wir selber schaffen uns die Falle, aus der wir dann nicht mehr rauskommen können. Was sollten wir tun in dieser Lage. Ich höre allen Ernstes vorgestern die Politiker sprechen, wir müssen uns gegen die illegale Migration verteidigen. Ich lese heute in der Zeitung von dem EU Experten Elmar Brok, wenn wir sie abschrecken, ziehen sie gar nicht mehr durch die Sahara, um in Nordafrika anzukommen, dann bleiben sie, wo sie sind. Herr Elmar Brok haben sie je begriffen, was Menschen durch die Sahara treibt außer Leid und Not. Jetzt sagen wir es ganz simpel mit Karl Marx, was in der rheinischen Zeitung abgedruckt wurde: das Holzdiebstahlgesetz, wenn einfache Leute Brennmaterial aus dem Wald nach Hause nehmen, um ein bisschen Wärme in ihr Haus zu bekommen, sollte das für Diebstahl gelten. Damals schrieb Marx, „ein Gesetz, das die Verzweiflung zum Verbrechen erklärt, ist selber ein Verbrechen und erschafft beides gleichzeitig Verbrechen wie Verzweiflung“.

Deshalb kann ich nur sagen, schließt den Amerikanern die Tür zum Militär, schließt Ramstein, schließt den Amerikanern die militärischen Zugangswege global, wo irgend es möglich ist. Wir in Deutschland müssen damit Schluss machen, weil wir ihre wichtigsten Partner in Europa sind und wir haben dazu die Macht, wenn wir nur mal selbständig zu denken beginnen, statt weiter von unseren Freunden jenseits des Atlantiks zu katzbuckeln, als wären wir immer noch ein Drittweltland.

Es gibt eine kurze christliche Formel, schließt Ramstein und öffnet eure Herzen.

Ich danke ihnen sehr für ihre Aufmerksamkeit.

Transkritpion von Sabine Schmitz

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