Der neueste Datenskandal bei Facebook ist lediglich Auswuchs eines Systems psychologischer Einflussnahme, in das Unternehmen und Regierungen weltweit gleichermaßen verstrickt sind. Nafeez Ahmed zeichnet nach, wie der britisch-amerikanische Mutterkonzern von Cambridge Analytica, die SCL Group, mit der britischen Regierung zusammenarbeitet und diese zum Einsatz von Daten in der Außenpolitik berät.

Enthüllungen eines Whistleblowers haben gezeigt, wie das berüchtigte Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica gegen Facebook-Bestimmungen verstoßen hat, um an private Informationen von über 50 Millionen Nutzern zu gelangen, und dabei auf die amerikanischen Wähler abzielte.

Diese Enthüllungen werfen drängende Fragen über den Einsatz psychologischer Manipulationsmethoden bei Facebook auf, die der Beeinflussung von Wahlentscheidungen dienen sollen – nicht nur bei den Präsidentschaftswahlen von 2016, sondern auch beim Brexit-Referendum.

Jedoch gibt es eine Reihe entscheidender Aspekte, die in der aktuellen Berichterstattung vernachlässigt oder gänzlich ausgelassen werden.

Einer davon ist die Tatsache, dass es sich bei Cambridge Analytica um einen Ableger der SCL Group handelt, ehemals Auftragnehmer des britischen Verteidigungsministeriums und noch immer eng verbunden mit dem britischen Außenministerium (FCO) sowie weiteren Akteuren in Politik und Finanzwelt des Vereinigten Königreichs.

Politische Indienstnahme

Diese Verbindungen sind so eng, dass Wilton Park, eine ausführende Behörde des Außenministeriums, erst letztes Jahr das SCL-Tochterunternehmen SCL Elections eingeladen hat, um darüber zu sprechen, wie die Nutzung von Daten bei den Präsidentschaftswahlen von 2016 in der diplomatischen und außenpolitischen Agenda der britischen Regierung angewendet werden könnte.

Bereits im Zuge meiner Recherchen über Facebooks Weg hin zu einer Überwachung mit noch größerer Reichweite als die der NSA habe ich berichtet, dass es sich bei den beiden SCL-Führungskräften, die sich im Februar 2017 an Beamte des Außenministeriums wandten, um Mark Turnbull, Geschäftsführer von SCL Elections, und David Wilkinson, zu diesem Zeitpunkt leitender Datenanalyst, handelte.

Cambridge Analytica, das in den USA ansässige Datenunternehmen, wurde von SCL Elections als Tochtergesellschaft gegründet, mit Unterstützung durch den rechtskonservativen Milliardär Robert Mercer. Faktisch jedoch sind SCL und Cambridge Analytica „ein und dasselbe“ Unternehmen.

Dem Tagungsprogramm von Wilton Park zufolge informierten Turnbull und Wilkinson die Anwesenden bei der FCO-Konferenz über das „Analysieren der Datennutzung bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen“.

Betreut und eröffnet wurde das Treffen von Jonathan Allen, zu diesem Zeitpunkt geschäftsführender Generaldirektor des FCO für Verteidigung und innere Sicherheit. Inzwischen ist Allen Theresa Mays stellvertretender ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen.

Das Tagungsprogramm beschreibt die Konferenz als Gelegenheit, „dem FCO neue Möglichkeiten zu eröffnen, Daten zu diplomatischen Zwecken besser zu nutzen, und gleichzeitig neue Bedrohungen für die bisherigen Arbeitsweisen aufzuzeigen.“

Der Fokus der Konferenz lag darauf, die „Möglichkeiten und Bedrohungen“ zu bewerten, die „besondere Anwendung auf die Rolle des Außenministeriums in der Diplomatie und der internationalen Politik finden.“ Die angestrebten Ziele des Treffens umfassten:

„Ideen und Empfehlungen an das Außenministerium, die für eine verbesserte Datennutzung in der Außenpolitik zu berücksichtigen sind.“

Mark Turnbull von SCL Elections verfügt über vielfältige Erfahrungen bei der Betreuung von Operationen psychologischer Kriegsführung im Irak und in Afghanistan, all dies im Auftrag der amerikanischen und britischen Regierungen.

Während er längere Zeit für die PR-Firma Bell Pottinger tätig war, hatte er die Aufsicht über einen 540-Millionen-Dollar-Auftrag des US-Verteidigungsministeriums für „Operationen im Informationsbereich und auf psychologischer Ebene“.

Dies beinhaltete die Erstellung und Verbreitung von gefälschten Al-Qaida-Videos im Irak.

Vor seinem großen Auftritt mit SCL schuf Turnbull eine auf strategische Kommunikation spezialisierte Abteilung für Aegis Defence Services, ein weiteres riesiges britisches Militärunternehmen, das unter mehreren 100-Millionen-Dollar-Verträgen mit dem Pentagon Operationen im Irak und in Afghanistan durchführt.

Symbiotische Beziehung mit dem Außenministerium

In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass die Verbindungen der SCL Group mit dem britischen Außenministerium weit in die Vergangenheit zurückzureichen scheinen. Wie in inzwischen gelöschten Auszügen einer archivierten Version der alten Unternehmenswebsite zu lesen ist, rühmte sich SCL einer „umfangreichen weltweiten Erfolgsbilanz und Anfragen, die über jede britische Auslandsvertretung gestellt werden können.“

Diese Anspielung auf ein Anfrageverfahren der offenen Tür über jede britische Botschaft auf der Welt ist ein Hinweis auf eine symbiotische Beziehung mit dem britischen Außenministerium. Auf meine diesbezügliche Anfrage reagierte das Außenministerium entschieden ausweichend. Ich erkundigte mich nicht nur, ob mit der SCL Group noch immer eine solch enge wechselseitige Beziehung bestünde, sondern auch, ob die Facebook-Kampagne des Unternehmens zur Beeinflussung nationaler Wahlen je im ausdrücklichen Interesse der britischen Außenpolitik erfolgt sei.

Ein Ministeriumssprecher antwortete lediglich:

„Ich überprüfe Ihre Anfrage, jedoch wurde ich darauf hingewiesen, dass Sie sich in dieser Angelegenheit gegebenenfalls an das Verteidigungsministerium wenden mögen.“

Trotz wiederholter Nachfragen blieb eine weitere Klarstellung des Verhältnisses zwischen SCL und dem Außenministerium aus, sei es nun symbiotischer oder anderer Natur.

Auf meine Anfrage beim Verteidigungsministerium (MoD) bestätigte ein Regierungssprecher, dass die SCL Group keine laufenden Verträge mit dem Ministerium habe und daher auch „keinen Zugang zu vertraulichen oder geheimen Informationen des Verteidigungsministeriums.“ Jedoch präzisierte der Sprecher nicht, wann die SCL Group zuletzt vom Verteidigungsministerium unter Vertrag genommen worden und zu welchem Zweck dies geschehen ist.

In der Vergangenheit wurde die SCL Group vom Verteidigungsministerium für eine beträchtliche Zeitspanne als „Liste X“-Vertragsnehmer eingeordnet. Solche Vertragsnehmer bearbeiten Aufträge der britischen Regierung, die es erfordern, dass die Unternehmen an ihren eigenen Standorten oder bestimmten anderen Orten über vertrauliche Informationen verfügen.

Wie Informationen zeigen, die im Einklang mit dem britischen Gesetz zur Informationsfreiheit (Freedom of Information Act 2000) herausgegeben wurden (Dank an den Journalisten Liam O’Hare hierfür), hatte das Verteidigungsministerium die „Strategic Communications Laboratories Ltd“, wie die SCL Group sich ehemals nannte, tatsächlich unter Vertrag, und zwar zur „Zielgruppenanalyse“. Dies geschah nur ein Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen von 2016, insbesondere im Geschäftsjahr 2014/15.

Ebenfalls im Jahr 2015 erhielt SCL von der kanadischen Regierung eine Million kanadische Dollar, um in Osteuropa einen NATO-Kurs über „fortgeschrittene Methoden der Gegenpropaganda“ auszurichten.

Beeinflussung der Massen

Die Beunruhigung anlässlich der zum Vorschein kommenden Details über den Gebrauch von massenhaften Verhaltensprofilen, die SCL/Cambridge Analytica von Facebook weiterentwickelt und zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung eingesetzt haben, ist sicherlich absolut gerechtfertigt. Jedoch verfügt nicht nur dieses eine Unternehmen über derartige Methoden.

Verfahrensmethoden, die der Beeinflussung der breiten Bevölkerung dienen, werden seit Jahrzehnten im Inneren des anglo-amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes entwickelt und angewendet. Die entsprechende Forschung wird von zahlreichen nationalen Sicherheitsbehörden weiterhin intensiv auf mehreren Ebenen betrieben.

Der Versuch abtrünniger Unternehmen, wie etwa Cambridge Analytica, von diesen Methoden zu profitieren, ist lediglich die erweiterte Schlussfolgerung der internen Logik eines Systems, das die staatlich geförderte Privatisierung von Massenüberwachung vorantreibt.

Das vermehrte Aufkommen von Big Data im Kontext einer zunehmend militarisierten Form des neoliberalen Kapitalismus hat einen neuen digitalen „Grenzbereich“ für die Gewinnmaximierung von Unternehmen erschlossen: die Digitalisierung selbst der winzigsten Details des privaten und öffentlichen Lebens. Dies ist der Grund, weshalb Facebook, Google und weitere Unternehmen Lobbyarbeit für die Deregulierung von Daten betreiben.

Die Verletzung des Datenschutzes auf Facebook durch Cambridge Analytica ist die Spitze des Eisbergs. Ein zunehmend lukratives – und nach der Logik der Digitalisierung von Kapital durchaus rationales – Geschäftsmodell der Plattform ist der Verkauf von Informationswerkzeugen an Regierungen auf beiden Seiten von oftmals sehr realen Kriegsschauplätzen. Dies ist sicherlich nur ein Teilaspekt im breit gefächerten Handel mit Manipulationstechniken, die an jedes Unternehmen verkauft werden, das sie sich leisten kann.

Es ist ein Krieg um unseren Verstand im Gange, und Big-Data-Plattformen profitieren davon.

Als Lösung hierbei können keine einfachen staatlichen Regulierungsmaßnahmen dienen, wie die fortwährende Begeisterung der britischen Regierung für SCL/Cambridge Analytica zeigt. Die wahre Lösung muss ein Umgang mit Daten sein, der die informationelle Selbstbestimmung derer anerkennt, denen sie tatsächlich gehören.


Über den Autor: Nafeez Ahmed arbeitet seit 16 Jahren als investigativer Journalist und gründete INSURGE intelligence. Er ist „Systemwechsel-Kolumnist“ bei Motherboard von VICE. Seine Recherchen über die eigentlichen Ursachen und verdeckten Operationen bezüglich des internationalen Terrorismus waren offizielle Beiträge für zwei Kommissionen; zu 9/11 und zum 7/7 Coroner’s Inquest, einer Untersuchung zu den Londoner Bombenanschlägen im Jahr 2005. Unterstützen kann man seine Aktivitäten via Patreon.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „UK govt asked Cambridge Analytica Trump team for advice on “data in foreign policy”„. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert. Der Beitrag wurde auf Rubikon – Magazin für die kritische Masse erstveröffentlicht.

Der Originalartikel kann hier besucht werden