Menschenrechte sind  universell, unveräußerlich und unteilbar. Sie gelten für die Katalanen ebenso wie für alle anderen Bürger der Europäischen Union. Jeder EU-Bürger, der für die Verteidigung der Menschenrechte der Katalanen eintritt, verteidigt die Menschenrechte aller EU-Bürger und somit auch seine eigenen.

Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Auszug aus Prof. Dr. Axel Schönbergers Vortrag, den er am 17.02.2018 im Frankfurter PresseClub hielt.

Es ist eine weit verbreitete Meinung, daß die Wahrheit, wenn zwei sich streiten, doch eher in der Mitte liegen müsse, weswegen es den Streitenden gut anstehe, sich auf einen Kompromiß zu einigen. Dies gilt jedoch nicht für Fälle, in denen der eine eindeutig im Recht und der andere ebenso eindeutig im Unrecht ist. Hier kann und darf es keinen Kompromiß, sondern nur eine kompromißlose Parteinahme für denjenigen geben, der im Recht ist. Ein solcher Fall ist im Konflikt zwischen Spanien und Katalonien gegeben, auch wenn die veröffentlichte Meinung eines Großteils der deutschsprachigen Medien und die europäischen politischen Führer derzeit noch eine andere Meinung vertreten. Sie werden sie indes ändern müssen, wenn sie denn ihre Ämter behalten und das europäische Einigungswerk nicht von Grund auf zerstören wollen.

Der große Wurf der europäischen Einigung kann und wird nur gelingen, wenn die Herrschaft des Rechts überall in Europa ungeschmälert besteht und die Rechte — insbesondere die Menschenrechte — der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union in jedem Mitgliedsstaat unangetastet, unbedingt und uneingeschränkt Geltung haben. Wer vermeint, die Grundrechte bestimmter EU-Bürger staatlicherseits schmälern zu dürfen, weil sie beispielsweise Juden, Basken oder Katalanen sind, stellt sich selbst außerhalb der Gemeinschaft der zivilisierten Völker Europas. Wen auch immer in Deutschland das Schicksal des katalanischen Volkes und die Verletzung der Menschenrechte in Katalonien durch Spanien kalt läßt, der hat nichts, aber auch rein gar nichts aus der deutschen Vergangenheit der Jahre des Dritten Reiches gelernt und leugnet insbesondere die schwere Last der Verantwortung, die Deutschland als maßgeblicher Mitverursacher der jahrzehntelangen, bis heute nachwirkenden Unterdrückung der Katalanen unter dem verbrecherischen Regime des Massenmörders Francisco Franco nun einmal trägt.

Der amtierende  Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, sowie der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, sind gemäß Artikel 51 der «Charta der Grundrechte der Europäischen Union», veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. März 2010 (C 83/389), unbedingt — soweit das Subsidaritätsprinzip gewahrt bleibt — verpflichtet, die Rechte dieser Charta zu achten und sich an deren Grundsätze zu halten. Dies gilt für alle Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union. Wenn sie dies — wie in den letzten Monaten traurigerweise zu beobachten war — nicht nur nicht tun, sondern sogar im Gegenteil in einer regelrechten ‘Verschwörung des Schweigens’ den massiven Menschenrechtsverletzungen, die Spanien gegenüber dem katalanischen Volk begeht, untätig zusehen und die unerhörten, barbarischen Rechtsbrüche und Menschenrechtsverletzungen in Spanien sogar verbal unterstützen und ausdrücklich gutheißen, sind sie moralisch und charakterlich nicht geeignet, diese hohen Ämter der Europäischen Union weiterhin auszuüben, sondern werden vielmehr zu Totengräbern der Ideale und Werte Europas und vergiften das europäische Projekt durch die Duldung der menschenrechtswidrigen Diktatur Spaniens in Katalonien und der willkürlich vorgehenden spanischen Unrechtsjustiz des spanischen Staates, die unbescholtene Bürger — teilweise trotz ihres Abgeordnetenstatus — aufgrund ihrer politischen Ansichten verfolgt und ihnen drakonische Strafen androht. Die auf dem Papier stehenden Werte Europas sind gute Werte. Die europäischen Führer haben sie schmählich und in unverzeihlicher Weise verraten und setzen so das gesamte europäische Projekt der Gefahr des langfristigen Scheiterns aus.  Die Katalonienfrage ist zur Schicksalsfrage der Europäischen Union geworden. Noch ist es nicht zu spät. Noch kann die Europäische Union reagieren. Noch ist für das europäische Projekt die Sonne aller Tage nicht untergegangen.

Da ich immer wieder feststelle, daß grundlegende Fakten vielen nicht bekannt sind, fasse ich einiges, was die in ihren Menschenrechten zutiefst verletzten EU-Bürger Katalonien vermutlich für allen Europäern bekannt halten dürften, kurz zusammen. Aus der «Charta der Grundrechte der Europäischen Union» seien zunächst insbesondere folgende Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union hervorgehoben:

  • das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 6),
  • das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 10),
  • das Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch das Recht der Meinungsfreiheit und die Freiheit beinhaltet, Informationen und Ideen ohne Eingriffe staatlicher Behörden zu empfangen und weiterzugeben (Artikel 11),
  • das Recht, sich in allen Bereichen und auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, insbesondere auch im politischen und zivilgesellschaftlichen Bereich (Artikel 12),
  • das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben (Artikel 15),
  • die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz (Artikel 20),
  • das Diskriminierungsverbot, das auch eine Diskriminierung wegen der Sprache, der politischen oder sonstigen Anschauung sowie der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verbietet (Artikel 21),
  • die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen (Artikel 22),
  • das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Artikel 45),
  • das Recht einer jeden Person, deren Rechte oder Freiheiten, die ihr durch das Recht der Europäischen Union zugesichert werden, vor einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen (Artikel 47),
  • die Unschuldsvermutung zugunsten eines jeden Angeklagten bis zum etwaigen, rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld (Artikel 48),
  • die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen, wonach u. a. niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden darf, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war und das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf (Artikel 49).

Auch die «Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten», die sogenannte «Europäische Menschenrechtskonvention» (ERMK), die gemäß Artikel 6 Abs. 3 des EU-Vertrags Teil des Unionsrechts ist und seitens des Königreichs Spanien am 4. Oktober 1979 ratifiziert wurde, stimmt — was wäre auch anderes zu erwarten — inhaltlich mit der europäischen Grundrechtscharta überein und garantiert insbesondere das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 5), das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6), den Grundsatz, daß keine Strafe ohne ein Gesetz verhängt werden darf (Artikel 7), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 9), die Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 10), die Versamlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 11) sowie das Diskriminierungsverbot (Artikel 14). Sowohl die Grundrechtscharta als auch die Menschenrechtskonvention verpflichten die Europäische Union auf die Menschenrechte.

Zwar ist die «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1948 für die Mitgliedsstaaten  nicht rechtsverbindlich, auch wenn sie mittlerweile gemeinhin als Bestandteil des Gewohnheitsrechts der Völker angesehen wird, jedoch sind die mittlerweile zehn Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen für alle Unterzeichnerstaaten bindendes, zwingendes Recht, soweit sie nicht bei der Unterzeichnung entsprechende Vorbehalte anbrachten. Die Menschenrechtskonvention der Europäischen Union nimmt ausdrücklich auf die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen Bezug und inkorporiert diese in das Unionsrecht. Zusätzlich legt auch der Vertrag über die Europäische Union, in seiner konsolidierten Fassung am 7. Juni 2016 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (2016/C 202/01), in Artikel 2 die Werte fest, die der Europäischen Union zugrundeliegen sollen, nämlich Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.

Das Königreich Spanien hat als Mitgliedstaat der Europäischen Union den  EU-Vertrag unterschrieben, die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt und die entsprechenden Menschenrechte in seine Rechtsordnung übernommen. Es hat darüber hinaus am 27. April 1977 den am 23. März 1976 in Kraft getretenen Zivilpakt der Vereinten Nationen, den «Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte», der die bürgerlichen Menschenrechte der ersten Generation definiert, bedingungslos ratifiziert, und es hat am selben Tag auch den gleichfalls 1976 in Kraft getretenen «Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte» der Vereinten Nationen, der die grundlegenden sozialen Menschenrechte der zweiten Generation in völkerrechtlich verbindlicher Form garantiert, vorbehaltlos ratifiziert. Nach Artikel 10 Abs. 2 der Verfassung des Königsreichs Spanien von 1978 darf der spanische Staat darüber hinaus sämtliche Grundrechte und Freiheiten, welche die spanische Verfassung garantiert, nur in Übereinstimmung mit dem vorrangigen, zwingenden Recht der von Spanien unterzeichneten Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen auslegen. Durch die Bestimmungen des Artikels 96 Abs. 1 der Verfassung des Königreichs Spanien gelten die von Spanien vorbehaltlos ratifizierten Menschenrechtspakte zudem zwingend als Teil des spanischen Rechts, wobei ihre Inhalte keineswegs willkürlich oder à la carte, sondern ausschließlich auf dem in diesen Verträgen selbst vorgesehenen Wege oder in Übereinstimmung mit den allgemeinen Normen des internationalen Rechts aufgehoben, abgeändert oder ausgesetzt werden dürfen. Spanien hat kein Recht, die in den von ihm ratifizierten Menschenrechtspakten niedergelegten Menschenrechte selbständig dahingehend zu interpretieren, daß sie eingeschränkt, zurückgenommen oder verweigert werden dürften. Als zwingendes Recht stehen sie vielmehr über dem Postulat der Einheit Spaniens, das zwar auch in der spanischen Verfassung verankert ist, in Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht der Vereinten Nationen jedoch nur als gegen einen Angriff von außen gerichtet aufgefaßt werden darf.

Hierdurch sowie in Folge von Artikel 9 der Verfassung des Königreichs Spanien von 1978 sind Amtsträger des spanischen Staates in der Legislative, Judikative und Exekutive unbedingt an das zwingende Recht der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen gebunden. Verstoßen sie gegen die Menschenrechte, so verstoßen sie gegen spanisches, europäisches und internationales Recht. Tolerieren, billigen und unterstützen Amtsträger der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedsstaaten massive Menschenrechtsverletzungen durch einen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so tolerieren, billigen und unterstützen sie nicht nur schwere Rechtsverstöße gegen nationales, europäisches und internationales Recht, sondern verlieren insbesondere selbst jegliches moralische Recht, weiterhin ein öffentliches Amt in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in dieser selbst zu bekleiden. Dies gilt für die Herren Jean-Claude Juncker, Antonio Tajani und Donald Tusk ebenso wie für die geschäftsführende Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel, und ihren geschäftsführenden Außenminister, Herrn Sigmar Gabriel, die sogar ihre Amtseide verletzten, wenn sie entgegen der sie bindenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland massive Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Ausübung ihrer Amtstätigkeiten als Mitglieder der deutschen Bundesregierung billigend unterstützen.

Wer die Menschenrechte mißachtet und mit Füßen tritt, wer zu Menschenrechtsverletzungen in Europa schweigt oder Menschenrechtsverletzungen in Europa mit Hinweis auf vermeintlich über den Menschenrechten stehendes nationales Recht duldend hinnimmt, billigt und gutheißt, hat weder aus der düsteren Vergangenheit Deutschlands und Italiens gelernt noch das Wesen der Menschenrechte verstanden, sondern trägt entscheidend dazu bei, die moralische und ideelle Grundlage des europäischen Einigungsprozesses zu zerstören, das große Werk der vorherigen Generationen zu nichten und der Wiederkehr der faschistischen Ideologie in Spanien und anderswo den Boden zu bereiten. Wenn diejenigen, die Menschenrechtsverletzungen tolerieren und gutheißen, an ihren Ämtern und Funktionen kleben, werden die Bürgerinnen und Bürger Europas derart pflichtvergessene Politikerinnen und Politiker aus ihren jeweiligen Ämtern jagen, sobald sie die Ungeheuerlichkeit des Handelns all derjenigen, die Millionen von Unionsbürgern in Katalonien deren Menschenrechte absprechen wollen, in voller Tragweite erkannt haben werden.

Menschenrechte sind  universell, unveräußerlich und unteilbar. Sie gelten für die Katalanen ebenso wie für alle anderen Bürger der Europäischen Union. Jeder EU-Bürger, der für die Verteidigung der Menschenrechte der Katalanen eintritt, verteidigt die Menschenrechte aller EU-Bürger und somit auch seine eigenen. Jeder EU-Bürger, der den Katalanen ihre Menschenrechte ganz oder teilweise abspricht, stellt sich außerhalb der Rechtsordnung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Die Freiheit der Katalanen ist auch unsere Freiheit. Ihre rechtswidrige Unterdrückung durch Spanien geht uns allein ganz Europa an.

Der vollständige Text des Vortrages, den Herr Prof. Dr. Axel Schönberger am 17.02.2018 im Frankfurter PresseClub hielt, kann hier gelesen werden.


Prof. Dr. Axel Schönberger: Romanist sowie unter anderem ehemaliger Vorstand des Deutschen Katalanistenverbandes (DKV) und des Internationalen Katalanistenverbandes (AILLC)