In Kürze wird ProMosaik Valentina Ciurlantes Buch mit dem Titel „Le seconde generazioni di immigrati in Italia: il diritto alla cittadinanza nel percorso di integrazione“ (Die zweite Generation der Migranten in Italien: Das Recht auf Staatsbürgerschaft im Integrationsverlauf) veröffentlichen. In diesem Interview nehmen wir einige der Hauptthemen dieser Veröffentlichung vorweg, die auf ein sehr aktuelles Thema, das der Integration von Migranten, fokussiert.

Medien und Politiker bemühen sich heute vor allem darum, Zahlen zu ermitteln, Grenzen zu kontrollieren und zuzusehen, wie man sie am besten dicht machen kann.

Was hingegen zweitrangig bleibt, ist die interkulturelle Frage, die angesichts der Globalisierung in all ihren Formen viel wichtiger ist, da sie unvermeidbar zum freien Verkehr und Austausch führt. Es handelt sich hier nicht nur um Waren, sondern um Menschen. Und es ist zu hoffen, dass diese letzteren nicht wie die ersten behandelt werden.

Berichten Sie uns von den Zahlen der Migranten zweiter Generation, die sich derzeitig in Italien aufhalten.

Gemäß der letzten Volkszählung von 2011 leben in Italien 3.874.726 Bürger ohne EU-Staatsbürgerschaft. 23,4% von ihnen sind Minderjährige. Daraus folgt, dass 10% der Minderjährigen in Italien Ausländer sind.

Die Daten, die aus der Volkszählung hervorgehen, beschreiben eine Zunahme von 282,6% der in Italien geborenen Ausländer im Verhältnis zur vorherigen Volkszählung (2001). Die größte Ausländergruppe sind die Marokkaner (15,2 %), die zusammen mit den Rumänen, Albanern und Chinesen mehr als die Hälfte der gesamten Anzahl von Migranten ausmachen.

Die Kinder der Migranten nehmen auch infolge des demographischen Rückgangs der italienischen Bevölkerung zu: den Daten des italienischen Statistikamtes ISTAT zufolge wurden 2012 79.894 Kinder ausländischer Eltern geboren. Diese entsprechen 15% der Gesamtanzahl der Geburten. 2020 man geht von einer Inzidenz der ausländischen Bevölkerung von mehr als 15% in den Jahrgängen von 24-44 und von 18% in den Jahrgängen von 0-5 aus.

ISTAT zufolge lebten zum 1. Januar 2015 in Italien 5.073.000 Ausländer (8,3% der gesamten Bevölkerungsanzahl). Man kann die Anzahl der erteilten Aufenthaltsgenehmigungen zwischen 2012 und 2015 je nach geographischer Region vergleichen: die Gesamtanzahl der langfristig ansässigen Ausländer nimmt immer mehr zu: sie steigt von 2.179.607 im Jahre 2014 (56,3% der Gesamtanzahl) auf 2.248.747 im Jahre 2015 (57,2%). Es ist offensichtlich, dass sich die Ausländer auf die Regionen des Nordostens und Nordwestens Italiens konzentrieren. Die in Norditalien ansässigen Ausländer sind mehr als das doppelte im Verhältnis zu den gesamten Ausländern, die in Mittel-, Süditalien und auf den Inseln ansässig sind.

82% der EU-Bürger mit regelmäßigem Aufenthaltsstatus, die 2003 da waren, sind im Januar 2014 immer noch hier, was auf eine Migration im Sinne eines Projektes fürs Leben hinweist.

Welche Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Modalitäten der Begegnung zwischen den Kulturen?

Die Theorie der Assimilation basiert auf der Idee des ius sanguinis, d.h. der Blutszugehörigkeit an der Kultur, in die man hineingeboren wird und findet beispielsweise Anwendung in der italienischen Rechtsprechung.

In diesem Sinne gelten die Ausländer, die im Land leben, als Fremde. Ihre Aufnahme in die Gemeinschaft der Gastgeber wird wie eine Art „Adoption“ angesehen, für die diese Fremde ihre Herkunftsfamilie und ihren kulturellen Background hinter sich lassen, um Teil einer neuen Gastfamilie zu werden.

Die Theorie der Assimilation verzichtet somit auf jegliche multikulturelle Wertschätzung und Toleranz. Die gemeinsame Anwendung derselben in der gemeinsamen Realität besteht in der Anzweiflung der Idee der institutionellen Anpassung an die veränderte Lage.

Eine Alternative zur linearen Assimilation besteht im Multikulturalismus: Glazer und Moynihan (1970) und Handlin (1973) definieren im amerikanischen Kontext eine multikulturelle Gesellschaft als eine heterogene Menge ethnischer Minderheiten, die mit einer dominanten Mehrheitsgruppe zusammenleben.

Im Multikulturalismus bleiben die soziokulturellen Eigenschaften der Einwanderer erhalten. Die Gesellschaft gilt in ihrer gesamten Struktur als eine Gemeinschaft, die sich aus verschiedenen aktiven ethnischen Gruppen zusammensetzt, die sich potentiell integrieren. Das Konzept der Integration ist aufgrund seiner Komplexität schwer in eine Schublade zu schieben und einheitlich zu definieren.

Das Studien- und Forschungszentrum Centro Studi e ricerche Idos spricht von der Integration als von einem Begriff, der sich aus variablen Kontingenten zusammensetzt, die seinen Kern ausmachen und von denen der Erfolg des Eingliederungsparcours in der Gastgesellschaft abhängt. In dieser Anschauung besteht die Integration aus objektiven und subjektiven Elementen. Die objektiven sind territoriale, Umgebungs- und soziale Eingliederungsaspekte auf einem bestimmten Territorium, während die subjektiven Elemente den Bereich der Wahrnehmung der Integration meinen. Zu dieser letzten Dimension gehören die persönlichen Erwartungen an den eigenen sozialen Parcours, die Migrationsprojekte und die verschiedenen Konzepte der Akkulturation, die unvermeidbar vom ursprünglichen Imprinting beeinflusst werden.

In diese Reflexion fällt auch die Frage des Konflikts zwischen den Erwartungen der zweiten Generationen und den Perspektiven der Eltern. Aus diesem Konflikt folgt ein identitärer Clash.

Welche Auswirkungen bemerkt man im französischen Kontext, in dem die Assimilation umgesetzt wurde?

In Frankreich gelten die Migrationsflüsse als struktureller Faktor der demographischen Dynamik und bestimmen sehr längerer Zeit das Bild des Landes. In Frankreich leben schon Einwanderer der dritten oder vierten Generation.

Das Assimilationsmodell, das in Frankreich umgesetzt wird, führt zur verpflichtenden Beraubung jeglicher traditioneller Identität, die sich von der französischen unterscheidet und demzufolge zur zentralistischen Ausklammerung der ethnischen Minderheiten auf dem Territorium. Die Anerkennung der Integration bedeutet somit nicht die Anerkennung besonderer Rechte für die Einwanderer, sondern die Gleichheit der Grundrechte für alle Menschen, die auf dem Staatsgebiet leben, und dies unabhängig von ihrer Herkunft.

In diesem Szenario wird der Erhalt der Staatsbürgerschaft durch die Rechtsprechung erleichtert, aber er führt zum Abschluss des Contrat d’Accueil e d’Integration (CAI), mit dem sich der Antragsteller dazu verpflichtet, sich und seine Familien in die französische Nation zu integrieren.

Die Staatsbürgerschaft weist einen zweidimensionalen Charakter zwischen der vorgegebenen öffentlichen Sphäre und dem privaten Raum als Ort des Ausdrucks der kulturellen Besonderheiten auf. Dieses Szenario hat aber in den Jahren zu Situationen der sozialen Ausgrenzung und Marginalisierung geführt, die mit einer unzertrennlichen Verbindung mit der Herkunftstradition zusammenhängt.

Dies ist der Fall der muslimischen Einwanderer, die in Frankreich mehr als ein Drittel der Ausländer ausmachen und größtenteils aus Nordafrika und der Türkei stammen.

Die religiösen Forderungen der Gemeinschaft werden vom zentralistischen Staat nicht anerkannt, der hingegen ihre Anerkennung als ethnische Minderheit und ihre Sonderrechte abweist.

Catherine Withol De Wenden, Forscherin des CERI in Paris, weist darauf hin, wie man in Frankreich den Begriff „zweite Generationen“ verwendet, um die Jugendlichen, die größtenteils aus Nordafrika stammen und in Frankreich leben. Sie nennen sich selbst Beur, was in der Umgangssprache der Peripherie „Araber“ bedeutet. Damit beschreiben sie ihre Zugehörigkeit zu muslimischen Religion und ihre Teilnahme am örtlichen Leben der Gemeinschaft. Die Gruppe der Beur ist sehr stark mit der Realität der Banlieue, der Stadtrandviertel, verbunden, die zu Orten der sozialen Marginalisierung und der Kriminalität geworden sind. Sie sind das Ergebnis einer Diskriminierungspolitik und Orte der Marginalisierung, in denen die städtische Kriminalität vorherrscht und die als Ghettoviertel bezeichnet werden.

Das Assimilationsmodell prallt auf die Realität der Ereignisse und beweist, dass die Marginalisierung jeglicher kulturellen Gemeinschaft ein Katalysator antithetischer Gefühle werden kann, die den Werten der Gastkultur widersprechen.

Welche Modalität wurde in den Jahren in Italien umgesetzt?

Italien ist ein neues Einwandererland und steht erst in diesen Jahren vor der Herausforderung und Wertschätzung der zweiten Generationen der Migranten, die auf seinem Staatsgebiet leben. Es ist wünschenswert, dass sich unser Land, im Vergleich zu den Ländern, in denen die Migration schon eine längere Geschichte hat, in Richtung eines konstruktiven Ansatzes bewegt, der auf Integration basiert, ein inklusives Konzept fördert und Integration als Aufbau einer neuen Identität sieht, in der sich sei es die Einheimischen als auch die Ausländer wiederfinden, und der die kulturellen Besonderheiten versteht und gleichzeitig überschreitet.

Warum bist du der Meinung, dass die Integration die beste Modalität ist, um die italienische Politik zu gestalten?

Angesichts der demographischen Prognosen bezüglich der Zusammensetzung der italienischen Bevölkerung in der nächsten Zukunft erscheint es absolut notwendig, die Rechtsprechung anzupassen. Denn sie muss die Inklusion der zweiten und nächsten Generationen der Einwanderer in die nationale Gemeinschaft fördern und gewährleisten.

Die Stiftung Fondazione Anci Ricerche hat in ihrer Forschungsarbeit “Da residenti a cittadini” (zu Deutsch: Von Einwohnern zu Bürgern) von 2012 die demographische Entwicklung in Italien in den letzten Jahren vorausgesehen: die italienische Bevölkerung wird 2029 64 Millionen erreichen. Nichtsdestotrotz werden aber die italienischen Minderjährigen von 17% (2002) auf 15% (2029) fallen. Diese Gegentendenz wird vom exponentiellen Wachstum der ausländischen hier wohnhaften Ausländer ausgeglichen, die laut Schätzung sogar 474% erreichen wird.

2011 war die Hälfte der Gesamtzahl der in Italien wohnhaften ausländischen Minderjährigen in Italien geboren worden. 2029 werden 9 von 10 ausländische Kinder auf dem italienischen Territorium geboren werden. Wenn sich die Rechtsprechung nicht ändert, werden diese von der vollständigen Ausübung der Rechte ausgeschlossen, die den italienischen Staatsbürgern zustehen.

Aus diesen Zahlen geht klar hervor, dass die Zukunft unseres Landes sehr stark damit zusammenhängt, wie wir mit den jungen Migranten umgehen, welche Lebensperspektive wir ihnen anbieten und welche Anforderungen sie stellen und welches soziale und wirtschaftliche Potential sie bieten.

Wie ist die aktuelle Gesetzeslage für die zweite Generation? Welche sind die Neuigkeiten des im Oktober 2015 genehmigten Gesetzesentwurfs?

In Italien werden der Erhalt und der Verlust der Staatsbürgerschaft vom Gesetz Nr. 91 von 1992 regelt.

Das Prinzip, auf dem die Rechtsprechung basiert, ist das des ius sanguinis, d.h. der Übertragung des status civitatis infolge von Blutsverwandtschaft.

Gemäß dem Artikel 4, Abs. 2, wird der in Italien geborene Ausländer, der legal und ohne Unterbrechung bis zur Volljährigkeit in Italien gelebt hat, italienischer Staatsbürger, wenn er seinen Willen in diesem Sinne innerhalb eines Jahres nach jenem Datum erklärt. Die Ausübung dieses Rechtes gestaltet sich aber problematisch: einerseits werden die Menschen unzureichend informiert und andererseits tun sich die Ausländer schwer, zu beweisen, dass sie tatsächlich bis zur Volljährigkeit in Italien gelebt haben.

Wenn man die geltende Gesetzgebung analysiert, erkennt man den Willen, den Zugang zur Staatsbürgerschaft für die Einwanderer der zweiten Generation einzuschränken. Dieser Tendenz widersetzt sich der Gesetzesentwurf, der im Moment vom Senat überprüft wird und zusammenfassend das Prinzip ius soli und ius culturae neben dem des ius sanguinis einführt.

Unter Artikel 1 sieht das Gesetz im Detail die Möglichkeit vor, durch Geburt italienischer Staatsbürger zu werden; dies gilt für alle, die auf dem italienischen Staatsgebiet geboren sind und ausländische Eltern hat, von denen mindestens ein Elternteil eine EU-Aufenthaltsgenehmigung für einen langfristigen Zeitraum haben muss.

Die legislative Eingliederung des ius culturae schließt hingegen die Ausländer, die in Italien geboren oder innerhalb des 12. Lebensjahres nach Italien gekommen sind, unter den potentiellen Staatsbürgern ein. Für diese Kategorie besteht die Möglichkeit der Erlangung des Status nach einem regelmäßigen Besuch von mindestens fünf Jahren einer oder mehrerer Schul- oder Studienzyklen des nationalen Bildungssystems oder einer beruflichen Qualifikation nach einer 3-4jährigen Ausbildung.

Dieser Gesetzesentwurf wurde am 13. Oktober 2013 von der Abgeordnetenkammer genehmigt und wird seit 10. Februar 2016 immer noch von einer Kommission des Senators überprüft.

Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik.

Der Originalartikel kann hier besucht werden