Wo das Spiel keinen Regeln mehr zu folgen scheint, muss eben ein Affekt her. So könnte man Donald Trumps erdrutschartigen Sieg kommentieren. Das politische Establishment, es mache eh was es will und belügt die Öffentlichkeit. So der populistische Tenor. Dann lieber einen unerfahrenen „Ich-hab-die-Karten-auf-dem-Tisch“-Typen wie Trump, dessen politische Rhetorik jedem PR-Strategen das Blut in den Kopf treibt und seinen politischen K.O. tausendfach besiegelte. Wieso siegte er dann nach Punkten?

Trumps Stehvermögen

Die politischen Experten, die Demagogen, beinahe alle Online-Medien; sie alle haben den neuen US-Präsidenten Donald Trump unzählige Male angezählt. Und doch, jetzt darf er nach allen Regeln der Kunst Boxen. Er darf es legal. Schockstarre, Ungläubigkeit, ja Trump selbst erschien bei seinem Auftritt nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses überrascht; und ein wenig nervös. Es schien als wollte er das Mikro anderen überlassen, um nach diesem Kampf endlich mal durchatmen zu können. Wackelt sein berüchtigtes Stehvermögen nun doch?

Eigentlich hatte seine Herausforderin Hillary Clinton im Absoluten mehr Wählerstimmen auf ihrer Seite. Trump jedoch die von den einzelnen Staaten entsendeten Wahlmänner. Eine Reform des Wahlsystems wird das wohl nicht nach sich ziehen. Die dadurch aufkommende Asymmetrie hingegen ist stellvertretend für so vieles in der politischen Gegenwart. Das wohl einschlägigste Beispiel dafür ist das asymmetrische Verhältnis von digitaler zu analoger Welt.

Die Experten irren

Das Fach Politikwissenschaft stecke in einer Krise. Das behaupten bisweilen deutsche Feuilletons. Die politischen Debatten würden vielmehr von Juristen oder Ökonomen bestimmt. Die Expertise jener Vertreter kommt in Zahlen und praktischer Erfahrung daher. Und doch, ihre Prognosen erweisen sich zunehmend als falsch. Ebenso die der Onlinemedien. Der harte Brexit, die Wahlerfolge der europäischen Populisten oder nun die Trumps, sie alle kommen akut, unerwartet, unvorhergesehen. Wirklich?

Verfolgt man die Kommentare von Politologen zu Wahlausgängen, so haben sie nur selten mehr anzubieten als Politiker selbst. Die Abstraktheit ihrer Sprache ist dementsprechend unscharf und ohne Kontrast. Es ist kugelsichere PR. Selbst nach den Siegen der deutschen AfD und deren Einzug in die Landesparlamente gaben sich die Kommentatoren alle Mühe, Prognosen und scharfe Analysen mediengerecht zu verpacken. Das heißt keine konkrete Sprache, vielmehr eine allseits beliebte Abwartestrategie bezüglich der Ereignisse.

Die Sprache des Digitalen

Es ist eine Sprache, die jegliche Festsetzung verhindert. Vielmehr zeigt die Sprache der PR-Strategen mitsamt ihren Twitter-, Facebook- und Google-Accounts eine Furcht vor dem digitalen Aufschrei; vor Shitstorms und Empörung. Aufschreie gegen Trump gab es zur Genüge. Zurecht. Und doch hat er dadurch von CNN, Fox News, NBC aber auch von deutschen Medien Sendezeit im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar bekommen. Auch Medien unterliegen finanziellem Zwang und brauchen Einschaltquoten. Da verkauft sich ein politisch inkorrekter Trump besser als eine PR-geübte Clinton, über deren radikale Außenpolitikpläne die Öffentlichkeit kaum berichtet wurde.

Man könnte meinen, die jetzt Überraschten haben bewiesen, die politische Deutungshoheit unlängst verloren zu haben. Als hätten sie vergessen die wahre, die analoge Welt zu interpretieren. Denn still und leise lebt ein Gros der Wählerschaft nach wie vor in der Peripherie. Ein Gros, dass wenig Zeit für Kommentare und dergleichen hat, jedoch Zeit genug, einmal täglich die Nachrichten zu verfolgen und in ihnen lediglich einen Donald Trump zu sehen, der allerlei Versprechen abgibt.

Verzerrte Wahrnehmung

Und darin offenbart sich ein Paradox, wie es gegenwärtig die Politik allein markiert und dessen Verlauf sich zum Muster avanciert: das politisch korrekte Internet braucht politisch inkorrekte Publicity um sich als institutionalisiertes, postmodernes Bürgertum zu beweisen. Der digitale Voyeurismus verzerrt die Wahrnehmung – und die ist keineswegs repräsentativ.

Umfragen, Beobachtung, Interviews, sie alle unterliegen sogenannten sozialen Artefakten. In der empirischen Sozialforschung bezeichnet man damit Verfälschungen von Messergebnissen. Die spezifisch quantitative Auswertung von Umfragedaten ist damit immer schon eine Interpretation und keine harte Wissenschaft. Effekte der sozialen Erwünschtheit die Meinungsänderung unter Beobachtung richtet sich oftmals nach dem Common Sense. Wahlen sind geheim, das Internet öffentlich.

Sehnsucht nach Alternative

Die digitale Repräsentation der öffentlichen Meinung verstärkt damit den Eindruck, die Mehrheit sei linksliberal. Ein Kalkül, das bereits Bundeskanzlerin Merkel in der Flüchtlingspolitik beinahe ihr Amt kostete. Und darin offenbart sich die Schwäche der statistischen Forschung mitsamt den Zahlen und Umfragebögen. Allzu leicht geben sich die Experten und PR-Strategen dieser Wahrnehmung hin, einer grundlegend homogenen.

Letztendlich könnte das ausschlaggebend für „rapide Politikwechsel“ wie Brexit oder Trumps Wahlsieg sein. Denn solche Politikwechsel sind das knallharte Gegenteil der digitalen Homogenität. Den Wählern setzen also eine zusätzliche Potentialität frei. Das politische Spiel folgt seit Jahren den gleichen Regeln. Trotz Finanzkrise, trotz zunehmender Armut werden diese Regeln nicht geändert. Im Gegenteil, sie werden absurder und als alternativloser angesetzt und folgen demnach lediglich der Lesart derer die sie machen: das finanzielle, politische und journalistische Establishment.

Die Ordnung der Verführung

Und wo das Spiel keinen allgemeingültigen Regeln mehr zu folgen scheint, muss der Affekt her. Das heißt, die Wähler lassen ihren Gefühlen freien Lauf. So zählt nicht die Regel, sondern nur die „Ordnung der Verführung“, wie es der Soziologe Jean Baudrillard einmal ausdrückte. Die hierarchisierten und sublimierten Kommunikationsprozesse der Medien verschmelzen dabei zu einer grauen Masse mitsamt der politischen und finanziellen Elite. Sie balancieren nicht aus, sondern verstärken die globale Hierarchisierung. Gestandene Experten, wie auch Politiker, sollten endlich verstehen, welche Konsequenzen es haben kann, diese Hierarchisierung selbst voranzutreiben. Diese Wahl ist eine durchschlagende Reaktion auf das ungeheure Machtungleichgewicht der Globalisierung.