Südafrika hat dem Internationalen Strafgerichtshof in einem Schreiben seine Entscheidung mitgeteilt, die Organisation zu verlassen. Dafür hagelt es Kritik aus dem Westen. Aus der Gruppe der westlichen Staatschefs wurde bisher allerdings noch nie ein Politiker angeklagt. von Dr. Kani Tuyala

Erstaunt reagieren Kommentatoren der westlichen Qualitätspresse auf die Entscheidung Südafrikas und verweisen, wie etwa die Tagesschau, auf „Befürchtungen von Menschenrechtlern“, nun könnten weitere Staaten dem südafrikanischen Beispiel folgen. Der Schritt Südafrikas wird als „Niederlage für den Strafgerichtshof und die Menschenrechte“ bezeichnet.

Warum entschloss sich Südafrika nun aber, als zweiter afrikanischer Staat nach Burundi, zu diesem Aufsehen erregenden Schritt? Laut Justizminister Michael Masutha nehme man „bei der Arbeit des Gerichts eine Ungleichheit und eine unfaire Praxis wahr“.

Des Weiteren macht die südafrikanische Regierung eine zunehmende Diskrepanz aus zwischen ihren eigenen Aktivitäten zur Friedenssicherung auf dem afrikanischen Kontinent und den Strafverfolgungsgepflogenheiten des Strafgerichtshofs. Dieser wurde durch das multilaterale Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 geschaffen und nahm seine Tätigkeit schließlich im Jahr 2002 auf.

Zuständig ist der Strafgerichtshof für schwerwiegende Vergehen gegen das Völkerstrafrecht wie etwa Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie so genannte „Verbrechen der Aggression“.

Kritiker des Strafgerichtshof werfen diesem allerdings die Tendenz vor, sich bei seinen Ermittlungen bislang vor allem auf afrikanische Staaten zu konzentrieren und eine eher machtpolitische Perspektive auf Recht und Unrecht aufzuweisen. Dies sei eine Perspektive, die sich nicht mit den vielbeachteten Bemühungen Südafrikas deckt, eine souveräne Friedenspolitik auf dem Kontinent zu betreiben.

Als Auslöser für die Entscheidung Südafrikas gilt unter Experten der Streit um den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Bashir. Trotz eines vorliegenden Haftbefehls des Strafgerichtshofs weigerte sich Südafrika im Jahr 2015, al-Baschir bei seinem Besuch in Johannesburg festzunehmen. Die Regierung berief sich dabei auf die Immunität vor Strafverfolgung von Staats- und Regierungschefs. Justizminister Michael Masutha erläutert dies folgendermaßen:

Würden wir Staatschefs anderer Länder, die hier in Südafrika zu Gast sind, strafrechtlich verfolgen, würden wir zu Komplizen bei Regierungswechseln. Genau das wäre die Folge gewesen, wenn wir einen Staatschef vor Gericht gebracht hätten, der uns im Vertrauen auf seine Sicherheit besucht hat.

Somit kollidiere das Vorgehen des Strafgerichtshofs potenziell mit den Gesetzen des südafrikanischen Staates.

Diese Einschätzung erklärt sich nicht zuletzt als Folge eines intransparenten Vorgehens bei der Strafverfolgung vonseiten des Internationalen Strafgerichtshofs. Wohl vor allem Afrikanern mag es bitter aufstoßen, dass bisher neun offizielle Ermittlungen seitens des Gerichtshofs durchgeführt wurden, wovon sich jedoch acht just auf Angehörige afrikanischer Staaten bezogen.

Das bisherige Gebaren der Einrichtung und der treibenden Kräfte hinter dessen Konzeption erwecken vielfach den Eindruck, es stünden in erster Linie nicht strafrechtliche Erwägungen und die globale Sorge um Menschenrechte bei der Wahl der Ermittlungsziele im Vordergrund, sondern vielmehr geopolitische Erwägungen und deren Durchsetzung mithilfe des Strafgerichts mit Sitz in den Haag. Des Weiteren scheinen Ermittlungen auf afrikanischem Boden besonders ergiebig – oder zumindest besonders risikoarm – zu sein, wenn es um die internationale Profilierung des Strafgerichtshof geht.

Es sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass etliche Staaten das Rom-Statut nicht unterzeichnet haben, darunter natürlich die üblichen Verdächtigen wie der genannte Sudan, die Türkei, Saudi-Arabien, Russland, der Iran, Nordkorea, Kuba und der Irak.

Erstaunen mag es jedoch den einen oder anderen, dass sich auch vermeintliche Streiter für die globale Durchsetzung der Menschenrechte, wie etwa Israel oder die USA, ebenfalls nicht dem Strafgerichtshof verpflichtet fühlen und somit vor etwaiger Strafverfolgung sicher sind.

Dass dies einen erstaunlichen Widerspruch zur offiziellen Politik dieser Staaten darstellt, könnte die wachsende Frustration des einen oder anderen gegenüber dem „Internationalen“ Strafgerichtshof erklären und stellt in der Tat eine gravierende „Niederlage für den Strafgerichtshof und die Menschenrechte“ dar. Erstaunen mag dies jedoch nicht zu erregen, bedenkt man, dass gerade die selbsternannten Hüter der Rechtsstaatlichkeit diese in eigener Sache auch schon mal durchaus flexibel interpretieren können.

So behalten sich etwa die USA vor, in ihrem „Kampf gegen den Terrorismus“ mutmaßliche Terror-Verdächtige ohne Anklage und ohne Verfahren zu liquidieren. Bei diesen gezielten Tötungen kommen in der Regel Drohnen zum Einsatz, wobei die Kommunikation oft über die US-Militärbasis in Ramstein gesteuert wird.

In Ermangelung greifbarer US-amerikanischer Verantwortlicher haben der aus dem Jemen stammende Faisal Bin Ali Jaber und zwei seiner Angehörigen nun Deutschland verklagt. Eine Drohne, die vermutlich über die US-Basis in Ramstein gesteuert wurde, tötete im August 2012 bei einem Raketenangriff seinen Schwiegersohn und Neffen während einer Hochzeitsfeier. Das entsprechende Verfahren läuft noch. Die Bundesregierung argumentiert derweil, sie würde „die USA stets ermahnen, Ramstein nur so zu nutzen, dass es mit dem Völkerrecht vereinbar ist“.

Der Berliner Anwalt der Jemeniter, Wolfgang Kaleck, meint dazu:

Dazu muss man aber wissen, dass die [USA] eine andere Auffassung vom Völkerrecht haben.

Die Binsenweisheit, wonach die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen werden, scheint sich im Fall des Internationalen Strafgerichtshofs daher nicht nur zu bewahrheiten, sie scheint vielmehr die Regel zu sein. Somit ist der Verlust an Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs eher als logische Folge dieses Umstandes zu verstehen denn als Weigerung einzelner Staaten wie Südafrika, sich für die globale Wahrung der Menschenrechte einzusetzen.

Unklar ist derweil, ob der Austritt Südafrikas gültig ist, da die Regierung noch nicht über die Zustimmung des Parlaments verfügt. Ein Austritt wird laut dem Gründungsvertrag, dem Römischen Statut, erst ein Jahr nach der Benachrichtigung der Vereinten Nationen wirksam.

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