Das Tschernobyl des Amazonas wird es auch genannt, das zwischen 1972 und 1992 von Chevron-Texaco angerichtete Umweltdesaster im ecuadorianischen Regenwald, das heute immer noch, aufgrund fehlender Dekontaminierungsmaßnahmen Mensch und Natur vergiftet.

In einem 22 Jahre lang andauernden Prozess haben 2011 über 30‘000 klagende Ureinwohner einen historischen Sieg gegen den mächtigen Ölkonzern Chevron errungen. Seitdem entzieht sich das Unternehmen geschickt seiner Bestrafung, stempelt die Opfer als organisierte Verbrecher ab und versucht nun mittels Investitionsschutzabkommen die Strafe auf den Staat Ecuador abzuwälzen.

Wie es soweit kommen konnte und welche Rolle dabei internationale Schiedsgerichte spielen, erklärte letzte Woche in Berlin Pablo Fajaro, Vertreter der Geschädigten-Organisation (UDAPT) aus Ecuador, in seinem Vortrag, den wir der interessierten Leserschaft hier wiedergeben möchten.

Pablo Fajardo, Anwalt und Vertreter der Gemeinschaft indigener Völker und Bauern des Amazonasgebiets in Ecuador
am Mittwoch den 02. Dezember 2015
im Haus der Demokratie und Menschenrechte, in Berlin.

Guten Abend an alle hier im Saal. Ich sollte bereits im April hier sprechen, das hat aber leider nicht geklappt. Ich danke allen, die gekommen sind, um ihre Solidarität mit dem Kampf der 30‘000 indigen Bewohner im Amazonas zu zeigen, die durch den Chevron Umweltskandal betroffen sind.

Ich möchte kurz den von Chevron verursachten Schaden in Zahlen darstellen. In den 26 Jahren in denen Chevron (damals Texaco) Erdöl im ecuadorianischen Amazonas gefördert hat, wurden auf einer Fläche von 450.000 Hektar in einem, an Biodiversität reichsten Gebiet unseres Planeten, die Lebensgrundlage für Flora und Fauna zerstört und in Folge dessen auch für die indigenen Bewohner.

60 Milliarden Liter hochgiftiges Wasser wurde in die Flüsse gepumpt. 880 offene Abfallgruben voller Rohöl und giftigem Schlamm wurden zurückgelassen und 6,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas unter freiem Himmel verbrannt. Chevron hat den Tod Hunderter Menschen auf dem Gewissen, Krebserkrankungen und andere lebensbedrohliche Krankheiten treten deutlich vermehrt auf. 60 Firmen und 2000 Anwälte, Public-Relation Agenturen und Lobbygruppen wurden beauftragt, um all die Menschen, die es wagen ihre Stimme für die Opfer zu erheben, einzuschüchtern.

Die Umweltschäden wurden bis heute immer noch nicht behoben und darum können wir jetzt von einem Schaden in diesem Gebiet sprechen, der über 50 Jahre andauert. Es ist aus unserer Sicht der größte Schaden, der je von einem Ölkonzern angerichtet wurde. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied. Diese Umweltkatastrophe wurde bewusst und mit Absicht verursacht. Die Erdölgewinnungsanlagen, die 880 Abfallgruben und Öl-Leitungen sind absichtlich in unmittelbarer Nähe von Flüssen gebaut worden, um die Giftstoffe ungefiltert ableiten zu können.

Die von Chevron angerichtete Umweltzerstörung hat zudem großen Schaden bei der indigenen Bevölkerung angerichtet und in Folge sind zwei Völker komplett ausgestorben. Hunderte Menschen, darunter Kinder und Frauen, leiden aufgrund der Vergiftung von Wasser und Boden unter Krebs und Bluterkrankungen oder sind bereits verstorben. Angesichts dieser massiven Schäden an der Gesellschaft, der Kultur und an der Umwelt, kämpfen wir nun schon seit über 30 Jahren für Gerechtigkeit.

Erst haben wir 9 Jahre versucht Chevron in den USA anzuklagen und vor Gericht zu bringen, damit sie für diese Umweltverbrechen bestraft werden. Chevron hat Druck ausgeübt und schlussendlich erreicht, dass die US-Gerichte sich nicht zuständig erklärten und entschieden der Fall müsse in Ecuador verhandelt werden. Dann sind nochmal 12 Jahre vergangen, um eine Klage vor ecuadorianischen Gerichten zu erlangen, bis wir es schlussendlich geschafft haben, dass Chevron in Ecuador zu einer 9,5 Milliarden Dollar Strafe verurteilt wurde. Chevron hat Berufung bis in die höchste gerichtliche Instanz in Ecuador eingelegt, diese hat das Urteil jedoch bestätigt und es wurde somit rechtswirksam. Alle Instanzen des ecuadorianischen Rechtssystems haben Chevron für das Umweltverbrechen für schuldig erklärt. Da sich aber Chevron 1992 vollständig aus Ecuador zurückgezogen hat, besitzt das Unternehmen keine pfändbaren Vermögenswerte mehr dort. Deshalb waren wir gezwungen außerhalb von Ecuador gerichtliche Verfahren einzuleiten, um Chevron zur Zahlung zu zwingen. In den letzten 3 Jahren haben wir uns an Gerichte in Argentinien, Brasilien und Kanada gewandt. Wir haben in 24 Jahren in insgesamt 5 Ländern gegen Chevron geklagt.

Wir mussten dabei feststellen, dass Chevron wie ein gewöhnlicher Verbrecher vorgeht, wie ein Krimineller der sich der Justiz und der Bestrafung nicht stellt. Das Unternehmen unternimmt alles, um sich der Verantwortung zu entziehen. 2010 hat Chevron zwei Strategien in Gang gesetzt, um die Strafe nicht zahlen zu müssen. Einerseits wird der ecuadorianische Staat angegriffen, als trüge er die Schuld und müsste diese Schäden selber beheben. Auf der anderen Seite werden die Betroffenen systematisch angegriffen, all die, die am meisten unter den Folgen gelitten haben, die indigene Bevölkerung und die Bauern. Der Ölkonzern verfolgt die Strategie die Opfer selbst als Kriminelle abzustempeln. Chevron ging sogar so weit, zu versuchen die Urteile, die von ecuadorianischen Gerichten gefällt wurden, als betrügerisch darzustellen, sie behaupteten Gesetze wären missbraucht worden und die Opfer seien in Wirklichkeit Erpresser. Der Ölkonzern sieht sich selbst als Opfer in diesem Fall. Chevron hat bisher mehr als 25 Verfahren gegen uns und Menschen, die mit uns zusammenarbeiten in den USA, in Ecuador und in anderen Teilen der Welt angestrebt. Heute ist es soweit, dass alle Menschen, die uns unterstützen, seien es Studenten in den USA, Anwälte oder Aktivisten, von Rechtsanwälten verfolgt und verklagt werden, als wären sie Verbrecher.

Nur um ein Beispiel zu nennen, vor 8 Monaten wollte eine Kunststudentin in den USA ihre Abschlussarbeit mit Fotos von den Umweltschäden am Amazonas machen. Sie hat Kontakt mit uns aufgenommen und es war alles für die Reise vorbereitet, damit sie die Fotos machen kann. Chevron hat davon gehört und hat 8 Anwälte in ihre Universität geschickt und dem verantwortlichen Dozenten gedroht ihn zu verklagen, wenn er eine Abschlussarbeit zu diesem Thema akzeptiert. Mit solchen Interventionen will Chevron erreichen, dass niemand mehr die Opfer verteidigt, dass sich alle weltweit aufgrund des von Chevron ausgeübten Drucks von den Betroffenen abwenden und nicht mehr mit ihnen solidarisieren. Ich nenne das juristischen Terrorismus. Ähnlich geht das Unternehmen gegen Experten, Richter und sogar gegen Regierungen vor. Chevron arbeitet mit Druck, Einschüchterung, und Bestechung auf allen Ebenen.

Aus diesen Gründen haben wir uns vor einigen Monaten entschieden uns an den Internationalen Gerichtshof zu wenden und Chevron zu verklagen. Im März kam dieser zu dem Schluss, sie hätten keine ausreichenden Beweise gefunden, um Chevron verklagen zu können. Dieses Beispiel zeigt auch, dass die internationale Rechtsprechung nicht dafür geschaffen wurde, um Menschenrechte, die indigenen Völker und die Natur zu schützen. Das internationale Rechtssystem ist einzig für den Schutz von Investitionen, Kapital und den internationalen Handel gemacht.

Trotz all diesen Hindernissen und Einschüchterungen haben sich die 30‘000 Geschädigten, die ich als Vorsitzender vertrete, entschlossen nicht aufzugeben und weiter zu machen bis Chevron für seine Verbrechen bezahlt. Wir haben weiterhin Hoffnung, denn der kanadische Gerichtshof hat uns eine Türe geöffnet, um weiter klagen zu können und Chevron zur Zahlung zu zwingen. Natürlich stehen wir vor großen Hürden. In Kanada haben wir nur 2 Anwälte und 2 Assistenten und ihnen gegenüber stehen 300 Anwälte von Chevron allein in Kanada und 2000 weitere weltweit, die Vollzeit gegen uns und den ecuadorianischen Staat arbeiten. Das Kräfteverhältnis steht stark zu unseren Ungunsten, aber dennoch haben wir uns entschlossen weiter zu kämpfen. Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir das nicht alleine schaffen können. Deshalb wenden wir uns an die internationale Gemeinschaft und bitten um ihre Unterstützung.

Wir können uns ein Beispiel daran nehmen, was die indigene Bevölkerung im Amazonasgebiet Minka nennt (Quechua, der wichtigste Typus gemeinschaftlicher Arbeit, A. d. Ü.). Was ist Minka? Stellen wir uns vor, wir müssen einen Weg erschließen und dieser Weg muss über viele Flüsse und hohe Berge führen. Alleine würde man das nicht schaffen. Was macht eine Dorfgemeinschaft? Sie beraten und werden sich einig. Jedes Mitglied egal ob jung oder alt, jeder mit seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten trägt etwas zum Minka bei und gemeinsam erschließen sie den Weg. Wir sind fest überzeugt, dass wir jetzt vor einem Minka stehen, wo wir um den Amazonas kämpfen, auch um das Leben und wir laden alle ein mit ihren Möglichkeiten sich daran zu beteiligen. Ich lade sie herzlich ein sich diesem Minka anzuschließen.

Manchmal scheinen Probleme, wie die von Chevron verursachten Umweltschäden weit weg zu sein, auf der anderen Seite des Ozeans und man hat nicht das Gefühl, es habe etwas mit einem selbst zu tun. Viele deutsche Firmen und Unternehmen, die in Deutschland operieren sind Aktionäre von Chevron. Zum Beispiel Rentenfonds, in die Menschen hier einzahlen und die in Chevron Aktien angelegt werden. Transnationale Unternehmen sind stark miteinander verknüpft. Wenn wir uns die Statistiken anschauen, dann ist Deutschland eines der Länder, in dem die Menschenrechte am meisten respektiert werden und dazu sollte man Deutschland auch gratulieren. Andererseits scheint es nicht ganz so ethisch vertretbar zu sein, wenn deutsche Unternehmen oder Unternehmen, die in Deutschland aktiv sind, in anderen Ländern grobe Menschenrechtsverletzungen begehen und genauso wenig ethisch vertretbar ist es, dass dies nicht verfolgt wird. Was ich im Grunde sagen will ist, dass sind unser aller Probleme, es geht uns alle an. Was wir suchen ist Gerechtigkeit und in dieser Suche geht es nicht um ideologische oder geographische Kämpfe. Das ist weder der Kampf von Menschen eines bestimmten Kontinentes gegen Menschen eines anderen Kontinents, noch ein Kampf von Arm gegen Reich.

Wir haben den Prozess gegen Chevron gewonnen. Heute geht es darum das Geld von Chevron einzutreiben. Glücklicherweise haben die ecuadorianischen Richter verfügt, dass das Geld in vollem Umfang in die Reparatur der Schäden investiert werden soll. Es handelt sich also nicht um einen Schadenersatz, der unter den Betroffenen aufgeteilt werden soll. Das Geld soll für die Dekontaminierung des Gebietes eingesetzt werden, um so weit als möglich die Natur widerherstellen und die kulturellen und sozialen Probleme lösen zu können, die durch das Desaster entstanden sind.

In dieser Hinsicht benötigen wir viel Unterstützung, die indigene Bevölkerung träumt von einer gut ausgeführten Widerherstellung, was fehlt ist allerdings das akademische und wissenschaftliche Know-how. Hoffentlich finden wir Menschen mit diesem Wissen, die sich dem Minka anschließen.

Vielen Dank.

Organisiert wurde die Veranstaltung von der UDAPT und dem Europäischen Solidaritätsnetz der UDAPT- Deustchland in Zusammenarbeit mit der Stiftung – Haus der Demokratie und Menschenrechte, MoveGLOBAL e.V., BER-Berliner Entwicklungsratschlag e.V., Lateinamerika-Forum  Berlin e.V., Rettet den Regenwald e.V. und European Center for Constitutional and Human Rights (*ECCHR).

Fajardo2