Von Kit O’Connell, MintPress, übersetzt von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Ein sehr wegweisender Artikel zu den revolutionären Medien und die Erklärung, warum Objektivität und Neutralität nicht der richtige Weg für die neue Medienwelt sind, die hingegen diversifiziert sein muss und auch einen bestimmten subjektiven Blickwinkel nicht ausschließen darf.

Der folgende Artikel basiert auf einer kurzen Präsentation, die ich am Samstag im Buchladen Monkeywrench Books in Austin, Texas, als Teil des Projektes “Imagining Revolutionary Media” gehalten habe. Die Besprechung wurde von Solidarity Circuit und Peaceful Streets Project organisiert.

Heute möchte ich über die Herausforderungen sprechen, in unserem Zeitalter ein neuer Medienjournalist zu sein. Ich möchte drei wichtige Aspekte und einige Herausforderungen hervorheben, denen wir uns stellen müssen.

Wir sind alle einer Meinung: die alten Medien werden aussterben. Und dies ist auch der Grund, wofür es uns gibt. Aber bevor sie aussterben, unterdrücken die alten Medien die Menschen, da sie noch einen letzten Trotzanfall bekommen, was in allen einen großen Schmerz verursacht. Das gilt vor allem für die, die eine nachhaltige Journalistenkarriere anstreben und für all die, die Menschen erreichen möchten.

Aber die neuen Medien sind auch ein wahrer Ausbeutungsbetrieb! Am 1. Juli veröffentlichte Digiday eine Studie über das Volumen der Publikationen in den modernen Online-Medien. Quantitativ betrachtet, beschäftigt Huffington Post ein Team von 532 Leuten, die 1.200 Artikel pro Tag veröffentlichen. Zusätzlich dazu gibt es 400 unbezahlte Blogposts, die täglich herauskommen. Buzzfeed, die größte „Erfolgsgeschichte“ des modernen, listenbasierten Journalismus, hat derzeitig 100 bezahlte Teammitglieder, die pro Tag 350 Artikel produzieren.

Die beiden arbeiten zwar nach sehr unterschiedlichen Modellen, aber es ist einfach Standard, dass man heutzutage von einem Journalisten kostenlose Arbeit erwartet. Wenn Sie dann Glück haben, wachsen Sie auch noch über einige Andere hinaus, die genauso hart arbeiten wie Sie und eigentlich für Ihre Arbeit bezahlt werden. Einige bezahlte Autoren produzieren am laufenden Band 10-15 Artikel pro Tag, um diese Veröffentlichungsstandards zu halten. Und das ist nicht nachhaltig.

Und alte Themen werden in die neuen Medien importiert. Ich habe versucht, meine Sucht nach der Podcasting App Stitcher aufzugeben, weil die eine Werbung für das neue Goldman Sachs Podcast plante. Und ich will das Zeug nicht auf meinem Telefon haben! Aber das ist das perfekte Beispiel, wie alte Themen in neuen Formaten wieder aufgerollt werden. Und was wir auch noch importieren, ist die Idee der Neutralität, die einfach Bullshit ist.

Hier finden Sie die drei Hauptaspekte, auf die Sie fokussieren sollten, wenn Sie sich die revolutionären Medien vorstellen.

Die revolutionären Medien sind dezentralisiert und diversifiziert

Die alte Idee des Medienraums ist tot. Die modernen Nachrichten werden nicht mehr an einem zentralen Standort verfasst. Lokale Reporter und Bürgerjournalisten können von überall her mit einem globalen Netzwerk anderer Reporter verbunden sein, die eine ähnliche Arbeit ausüben oder ähnliche Themen behandeln. Gleichzeitig können auch die sozialen Medien eine globale Solidarität schaffen und Aktivisten aus aller Welt miteinander verbinden. Idealerweise sollten die verschiedenen Stimmen die Möglichkeit geben, sich auszudrücken. Dies sollte vor allem für die Stimmen der Minderheiten und der unterdrückten Gruppen gelten, die in den Mainstreammedien vollkommen ausgeblendet wurden.

Natürlich entstehen dadurch neue Herausforderungen — die lokalen Medien haben unter dem Verschwinden der alten Medien gelitten, und die sozialen Medien müssen sich ihren eigenen Herausforderungen stellen. Viele neue Medien hängen von Facebook ab, um Seitenaufrufe zu generieren, aber Facebook drosselt dauernd die Anzahl der Seitenaufrufe, die man ohne ein hohes Budget für die Werbung erzielt. Es ist schwer herauszufinden, welche Netzwerke man bevorzugen soll, wobei die neuen sozialen Netzwerke wie Snapchat große Bekanntheit erlangen.

Einige dieser neuen Tools können uns dabei unterstützen, neue Kommunikationsformen zu entwickeln und jenen alten Nachrichtenraum an das neue Zeitalter anzupassen. Vor kurzem nahm ich an einem neuen Projekt teil, das Slack nutzt. Das ist ein zum größten Teil kostenloses Hybridchat- und E-Mail-Portal, das den Reportern und Herausgebern die Möglichkeit bietet, blöde Links zu teilen und über die Tagesthemen zu diskutieren. Es erleichtert gleichzeitig auch eine ernsthafte Arbeit wie das gemeinsame Editing eines Artikels.

Verhaftung

Zuschauer und Bürgerjournalisten nehmen die Verhaftung eines Aktivisten beim NYPD auf ihren Smartphones und auf ihren digitalen Kameras am 11. Dezember 2011 auf. Soziale Medien weisen neue Wege, um Menschen sofort zu erreichen, wenn ein Ereignis eintritt. Aber sie können auch keine Herausforderungen stellen, wenn Netzwerke als Torwächter agieren. (Bild: Flickr / Jessica Lehrman)

Die revolutionären Medien sind nicht neutral oder ausgeglichen

Ich bin ein Gonzo-Journalist, aber heute würde ich behaupten, dass die besten Medien die sind, die in den Geschichten involviert sind, die sie schreiben. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, völlig neutral und ausgeglichen und distanziert vom Geschehen zu sein. Die Neutralität gibt letzten Endes den Menschen eine Stimme, von denen ich denke, dass sie die Feinde der Menschheit sind und die sich dafür einsetzen, dass „beide Seiten“ aller Themen „dieselbe Aufmerksamkeit“ erhalten. Die revolutionären Medien geben hingegen immer den Menschen Priorität.

Indem wir unsere Themen offen auf den Tisch legen, helfen wir den Menschen die News selbst „aufzubauen“. Die modernen Leser holen sich nicht mehr alle Nachrichten aus einer einzigen Quelle, sondern besuchen die sozialen Netzwerke und verschiedene Webseiten, wovon jede ihre eigene Meinung zum Tagesgeschehen äußert. Indem wir offen das sagen, woran wir glauben und nicht mehr versuchen, es allen gut zu machen, inklusive unseren Feinden (Umweltverschmutzern, Konzernen, brutalen und rassistischen Polizisten, korrupten Politikern, usw.), verstehen die Nachrichtenkonsumenten dann auch, wo wir stehen, wenn sie ihre Nachrichten des Tages aufbauen.

Wir müssen unsere Arbeit aber trotzdem strikt auf Fakten und Beweisen aufbauen. Dies kann auch heißen, dass wir uns mit Menschen unterhalten müssen, deren Meinungen wir nicht teilen, aber es ist einfach wichtig, unseren Lesern ein Gesamtbild rüberzubringen. Zum Beispiel habe ich vor kurzem über Themen rund um die Häftlingstransporte nach Truthout berichtet und u.a. mit einem Beamten des Vermont Department of Corrections besprochen. Aber ich habe dafür Sorge getragen, dass die Stimmen der ehemaligen Häftlinge viel lauter und länger sprechen.

Die revolutionären Medien sind nachhaltig

Werbung reicht nicht aus, um den modernen Journalismus nachhaltig zu gestalten. Denn sie ist auch nur eine Luftblasenwirtschaft. Wenn Sie sich eine Bannerwerbung auf einer Nachrichtenseite ansehen, so hat diese Webseite im Prinzip einen kleinen Fleck vermietet. Aber die Firma, die sich diesen Fleck gekauft hat, verkauft ihn oft auch weiter, sogar drei bis vier Mal pro Bannerwerbung. Und das ist gar nicht nachhaltig, sondern nichts anderes als eine Blase, die zum Platzen verurteilt ist.

Außerdem sollten die Journalisten auch für die von ihnen geleistete Arbeit bezahlt werden, damit sie überleben und weiterarbeiten können. Wir müssen auf die neuen Methoden der Finanzierung, wie Mitgliedschaft, Massenfinanzierung (aber vermeiden Sie Gofundme) und andere Formen der Unterstützung sehen. Wir müssen aber auch transparent aufzeigen, wie wir unser Geld verdienen und wie wir unsere Reporter bezahlen. Wir können die Transparenz anstreben, unabhängig davon, ob wir eine Genossenschaft, eine Gewerkschaftsverband (wie Truthout!), eine gemeinnützige oder traditionellere Organisation sind. Ich werbe für eine neue Veröffentlichung, deren Lancierung ich unterstütze. Aber wir bemühen uns darum, zu den Freelancern, mit denen wir darüber sprechen, immer ganz ehrlich darüber zu sein, was wir auch wirklich zahlen können, im Gegensatz zu dem, was ihnen wirklich zustehen würde.

Vor allem laufen alle drei Aspekte auf den gegenseitigen Respekt und die gegenseitige Solidarität hinaus – eine Solidarität mit den Menschen, die wir interviewen, aber auch eine Solidarität mit den Medienaktivisten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es eine komische Erfahrung ist, über „Fight For 15“ zu berichten, wenn Sie nicht in der Lage sind, als Journalist ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Ich freue mich auf Ihr Feedback zu diesen Aspekten. Ich möchte gerne in Erfahrung bringen, wie Sie glauben, dass wir Medien schaffen können, die dezentralisiert und diversifiziert, leidenschaftlich, aber zuverlässig und nachhaltig sind. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Vortrag “What is Revolutionary Media?” auf Soundcloud 

Der Originalartikel kann hier besucht werden