Wien, Bericht eines Vaters aus Wien

Liebe Freunde!

Gestern in der Frühe hat mich mein großartiger Freund Arnold,  mit dem ich schon gemeinsam in Traiskirchen war, angerufen mit der Bitte, mit ihm gemeinsam Lebensmittel einkaufen zu gehen und diese an der Grenze Nickelsdorf abzugeben. Dort wurden wir auch all unser Wasser, Windeln etc. los – nur mit den Bananen konnte man nichts anfangen – da gerade ein Sattelschlepper voll mit denselbigen angekommen war.

So fuhren wir mit einem Auto voll Bananen etwas ratlos wieder los mit dem Plan, diese im Erstaufnahmezentrum abzugeben. In Nickelsdorf trafen wir dann auf eine sehr nette Gemeindemitarbeiterin, die uns mitteilte, dass am Bahnhof Nickelsdorf die Lebensmittel viel mehr gebraucht werden. Dort wurden mit Bussen die flüchtenden Menschen von der ungarischen Grenze geholt und mit den Zügen nach Wien gebracht.

Zunächst war die Situation vor Ort noch sehr chaotisch, Polizei, Rotes Kreuz, unglaublich viel Presse und ein paar freiwillige Helfer. So begannen wir beim Aufbau einer Infrastruktur mitzuhelfen, mittels derer effizient geholfen werden konnte. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Menschen mit unglaublich vielen Lebensmittel und dem Willen zu helfen – es war einfach nur wunderschön zu sehen wie viele Menschen ein unglaublich großes Herz haben und plötzlich war ein sensationelles Ersthilfe Zentrum aufgebaut, bei dem es Decken, trockene Kleider, medizinische Versorgung und sogar warmes Essen gab. Die Dankbarkeit der Menschen, die nach Wochen die erste warme Mahlzeit zu sich genommen haben, werde ich nie vergessen.

So ist der Tag unglaublich schnell vergangen und nachdem jede Menge Helfer da waren, fuhren Arnold und ich wieder nach Hause.

Doch das Erlebte hat mich einfach nicht losgelassen und nachdem ich in den Nachrichten sah, dass um 20:30 der letzte Zug nach Wien fahren würde und 700 Menschen im Freien übernachten müssen und noch dazu ein eisiger Wind wehte und es anfing zu regnen, kramte ich vier Zelte aus meiner Garage, rief den Arnold an und bat ihn, mit mir wieder nach Nickeldsorf zu fahren, um mit mir die Zelte aufzubauen. Er war bei der Aktion natürlich sofort dabei, sowie noch ein paar Freunde aus Weiden am See.
Nachdem wir die Zelte aufgebaut hatten, sah ich am Boden sitzend im Regen den kleinen Timi, mit seiner Mutter – der Vater versuchte gerade, eine Schlafstätte für seine Familie in einem Strand Wurfzelt einzurichten und Timi schrie und hustete fürchterlich.

Da konnte ich nicht mehr anders und habe die drei gebeten, zu uns nach Hause mitzukommen, was sie nach kurzem Zögern aus falscher Bescheidenheit dann Gott sei Dank auch angenommen haben. Ich habe meine Frau Maren JaSe kurz zur Vorwarnung angerufen, dass ich nicht alleine nach Hause kommen würde, und nachdem sie sofort einwilligte und ein Bett herrichtete, hatte ich nun einen von tausenden Gründen mehr, warum ich sie geheiratet habe!

So waren nun Ahman, Ahmad und Timi bei uns zu Hause und deren Dankbarkeit für eine heiße Dusche, und ein Bett trieb uns die Tränen in die Augen.

Achmad ist aus Homs in Syrien und hatte eine Apotheke. Seine Frau Ahman ist Radiologin. Beide halfen vom Krieg verwundeten Menschen, leider waren da auch Gegner von Assad dabei, was dazu führte, dass Ahmads Apotheke zerstört wurde und man ihn und seine Familie töten wollte. Daher mussten sie fliehen.

Ihre Flucht dauerte vier Monate und sie mussten auch übers Meer. In der Nacht vor der Küste Griechenlands zwangen die Schlepper alle Flüchtlinge, den Rest des Weges zu schwimmen, als sich Ahmad weigerte, da er Angst hatte eines seiner zwei Kinder (1 und 5 Jahre alt) oder seine Frau könnten ertrinken, warfen die Schlepper einfach das 1 jährige Kind ins Wasser und zwangen Ahmad nachzuspringen. Danach warfen sie seine Frau und das andere Kind nach.

In Griechenland ging es dem älteren Sohn gesundheitlich sehr schlecht, daher bezahlte Ahmad Schlepper dafür, dass sie ihn mit dem Flugzeug nach Schweden bringen, wo bereits Ahmads Vater war – was glücklicherweise auch klappte.

Dann ging es über Mazedonien, Serbien nach Ungarn weiter, wo sie in ein Gefängnis gesteckt wurden. Als dort Timi weinte und sich kaum noch beruhigen ließ, drohte ein ungarischer Polizist damit, Timi zu erschießen. Das war hoffentlich das letzte Mal, dass die Familie Todesängste hatte.

Ahmad musste insgesamt 31.000,- Euro an Schlepper bezahlen, dafür verkaufte er alles, was er hatte und wurde von Familie und Freunden finanziell unterstützt.

Heute Mittag haben wir den Dreien ein Zugticket nach Kopenhagen gekauft – von dort müssen sie es nur noch über eine 10km lange Brücke nach Schweden schaffen – dann sind sie endlich wieder mit ihrem Kind und ihren Eltern vereint. Ich bete zu Gott und zu Allah, dass er sie diese letzte Hürde auch noch schaffen lässt.

Und ich hoffe, Ihr drückt ihnen auch ganz fest die Daumen.

Doch warum teile ich mich mit Euch diese Erfahrung? Es gibt ja viele Diskussionen auf Facebook über Eitelkeit und Gutmenschen, die sich mit ihren Heldentaten schmücken. Also wer mich kennt, der weiß, dass es mir ziemlich am Hintern vorbei geht, was andere über mich denken – dann bin ich halt ein linker Krimineller, der will, dass der Rechtsstaat ausgehebelt wird usw. so what? Ich finde jede Meldung von Menschen, die helfen, gut und wichtig. Jedes dieser Postings gibt mir ein Stück Hoffnung und Glaube an uns zurück, dass irgendein Idiot mit einem dummen Posting zerstört hat. Ich freue mich riesig, dass der salonfähig gewordene Rechtspopulismus im Moment von einer Welle an Hilfsbereitschaft übertönt wird und hoffe es bleibt auch so.

Also tut Gutes und schreibt auch darüber und zeigt dem Rest der Welt, dass Österreich eigentlich so ist, wie das am Westbahnhof, in Nickeldsorf, usw. zu sehen war.

Zudem ist es mir wichtig zu zeigen, dass keiner der 10.000 Flüchtlinge gestern versucht hat, mich zu köpfen, vielleicht auch deshalb, weil sie auch gerade hungrig waren und ich ihnen eine Banane in die Hand gedrückt habe – eventuell waren sie mir dankbar und haben mich deshalb verschont?

Und ja, Trottel gibt es überall, auch unter den Flüchtlingen, aber wir haben ja auch unsere Fritzels, Prikopils, Unterwegers, Fuchsen und wie sie alle heißen – und sind trotzdem keine Nation von Kinderschändern und Hurenschlitzern.

von Sascha J