Antje Hollander, Originalartikel im Migazin

Undurchsichtige Anforderungen, hohe Gebühren, endloses Warten, ABGELEHNT! Meist endet mit dieser Nachricht die Beantragung eines deutschen Visums für Menschen aus etlichen Ländern der Welt. Die Kampagne “VisaWie?” fordert ein Umdenken.

Was ist ihr Beruf? Haben Sie Familie? Haben Sie ein Einkommen? Wie hoch ist dieses? Können Sie das beweisen? Sind sie in einer Beziehung mit einer Deutschen?

Simon ist 25 Jahre alt und arbeitet als Sozialarbeiter. Er befindet sich bei einer Befragung in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kampala, Uganda. Zuvor hat er schon einige Anstrengungen hinter sich. Er musste zunächst Reisepass, Geburtsurkunde und polizeiliches Führungszeugnis beantragen, ein Motivationsschreiben abfassen, eine Krankenversicherung abschließen. Außerdem einen dreimonatigen Sprachkurs absolvieren sowie einen Lebenslauf und zahlreiche weitere Formulare vorlegen.

Kürzlich hat er eine Stelle für einen Freiwilligendienst in Kassel bekommen. Er hat Interesse am Reisen, viele Freunde in Deutschland und der Freiwilligendienst wäre eine passende Ergänzung zu seinen Erfahrungen im Bereich sozialer Arbeit. Nun, nachdem er eine Menge Geld, Zeit und Energie investiert hat, braucht er nur noch das Visum, um den Dienst antreten zu können. Beim Einreichen seiner Antragsunterlagen muss er jetzt in einem Interview Fragen teilweise sehr persönlicher Art einwandfrei beantworten. Nach einem Monat des Wartens bekommt er endlich eine Rückmeldung: “Ihre Unterlagen liegen in der Botschaft bereit”. Mehr nicht. Erneut muss er nach Kampala fahren. Von Jinja, wo er wohnt, dauert das mindestens drei Stunden. Dort bekommt er kommentarlos seinen Antrag in die Hand gedrückt: Abgelehnt!

Simon ist kein Einzelfall. Täglich machen unzählige Studierende, Reisende, Geschäftsleute, Angehörige die Erfahrung, dass ihr Visumsantrag nach langwierigen und kostspieligen Bemühungen und trotz Erfüllung aller offiziellen Anforderungen abgelehnt wird. Eine Rückerstattung angefallener Kosten findet nicht statt. Nachforschungen ergeben meist, dass die Begründung eine “mangelnder Rückkehrbereitschaft” ist. Dieses schwammige Kriterium öffnet Tür und Tor für Diskriminierung und Willkür. Die “Rückkehrbereitschaft” eines Menschen kann nicht an objektiven Kriterien festgemacht werden. Dadurch fällt die Einschätzung in den Ermessensspielraum der Botschaft und kann dem Antragsteller somit willkürlich unterstellt werden.

Weitere Kriterien für Visa, wie nachzuweisende finanzielle Rücklagen, Einladungsschreiben und eine Verpflichtungserklärung der Einladenden zur Übernahme aller anfallenden Kosten. Sie erschweren die Beantragung enorm und machen es für Menschen ohne die nötigen finanziellen Voraussetzungen oder Beziehungen nach Deutschland schlichtweg unmöglich, ein Visum zu erhalten. Besonders deutlich wird die Ungerechtigkeit, wenn man sieht, wie leicht es für Deutsche ist, in die ganze Welt zu reisen.

Dieser Missstand manifestiert sich weltweit. 46,57% aller deutschen Visa, die in Guinea beantragt werden, werden abgelehnt. Im Senegal beläuft sich die Zahl auf 34,43%, in Kamerun auf 29,31 %. Vergleichsweise werden aus dem Irak oder China nur rund vier Prozent aller Anträge abgelehnt. Es ist augenscheinlich, dass für Menschen aus bestimmten Ländern die Erfolgsaussichten deutlich schlechter stehen. Für Antragsteller aus afrikanischen Ländern liegt die Ablehnungsquote um ein Vielfaches höher als der Durchschnitt.

Die Kampagne VisaWie? Setzt sich für umfassende Veränderungen in der deutschen und europäischen Visavergabepraxis ein. Unter anderem fordern die Initiatoren die Abschaffung des Kriteriums der Rückkehrbereitschaft und eine Verschiebung der Beweislast vom Antragssteller auf die zuständige Botschaft. In den gegebenen Anforderungen spiegeln sich postkoloniale Machtverhältnisse und rassistische Denkweisen wieder. So festigt die Visavergabe Macht und Privilegien des globalen Nordens. Voraussetzungen der Erfüllbarkeit, Fairness und Vertrauen können erste Schritte sein für eine gerechtere Visavergabe.