Am sonnigen Sonntagnachmittag des 7. Juni 2015 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin diskutierten die US-amerikanische Whistleblower mit Bundestagspolitikern über die Fragen zur digitalen Massenüberwachung, Datenspionage und dem NSA-Untersuchungsausschuss.

Die US-amerikanischen Whistleblower: Daniel Ellsberg, Norman Solomon, Jesselyn Radack, Coleen Rowley und Thomas Drake diskutierten mit den Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern des NSA-Untersuchungsausschusses Konstantin von Notz, Martina Renner und Hans-Christian Ströbele unter der Moderation durch Sarah Harrison, der Direktorin der Courage Foundation. Der Historiker Joseph Foschepoth und dem ehemaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar ergänzten die spannende Vortrags- und Diskussionsrunde mit geschichtlichen Fakten und juristischen Kenntnissen.

Zwei Wochen zuvor wurde durch die Enthüllungen von Edward Snowden über die digitale Massenüberwachung der NSA eine neue Reform der Überwachungsprogramme im Repräsentantenhaus und im Senat der USA beschlossen. Die grundlose, digitale, massenhafte Speicherung von elektronischen Daten von Millionen von US-Amerikanern soll für die NSA eingeschränkt werden. Was für viele vielleicht plausibel erschien, wird jetzt erst juristisch verankert, dass US-Behörden nur die Herausgabe von Daten mit richterlicher Anordnung verlangen dürfen. Der NSA-Skandal und die Zusammenarbeit des US-amerikanischen Geheimdienstes mit dem Bundesnachrichtendienst reichten allerdings viel weiter, als es die Regierungen und Behörden zugegeben haben.

Die Whistleblowerin Coleen Rowley war eine ehemalige Kandidatin für den US-Kongress der demokratischen Bauern-Arbeiter-Partei in Minnesota sowie eine ehemalige Agentin des FBI. Sie wurde u.a. mit dem Sam Adams Award sowie als „Person des Jahres“ ausgezeichnet. Rowley sagte auf der Podiumsdiskussion: „Ich denke, es geht nicht einfach nur um die Frage der Aufrechterhaltung der Demokratie oder um das Nicht-Vorhandensein von Demokratie bei den Behörden. Alle Bürger müssen zu solchen Aktionen informiert werden und zustimmen. Aber wir werden von Menschen regiert, die es vorziehen, über Uninformierte zu regieren. Dafür gibt es einige Begriffe, aber man könnte es auch als eine De-facto-Diktatur bezeichnen. De facto sind der Überwachungsstaat und der Kriegsstaat derselbe Staat. Ich war in London und Oslo und jetzt hier in Deutschland. Alle diese Staaten brauchen Whistleblower sowie einen unabdingbaren Schutz für einen unabhängigen Journalismus. Wenn Deutschland den USA bei Straftaten hilft, werden diese Straftaten auch zu deutschen Straftaten.“

Der ehemalige US-amerikanische Angestellte der NSA, Thomas Drake, arbeitete dort als Experte für die Softwaretests und veröffentlichte als Whistleblower interne Informationen zum Projekt „Trailblazer“ über die weltweite, digitale Massenüberwachung. Er wurde im Jahr 2010 wegen Spionage angeklagt, im drohte eine lebenslange Freiheitsstrafe. Aber Drake hielt vor Gericht stand und wurde lediglich wegen „Missbrauch des Computersystems“ zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er hat ebenfalls einige hochrangige Preise erhalten. Im Juni 2013, nach den Veröffentlichungen von Edward Snowden über das Abhörprogramm PRISM, wurden Drakes damalige Aussagen erneut zum Thema in den Medien. „Die Bedrohung war derartig groß, obgleich der 11. September 2001 ein systemischer Fehler war, dass wir es für notwendig erachten, uns eine Art Notstandsgesetze zu erlauben“, erläuterte Drake zur Begründung für das Einsetzen dieser Megasoftwareprogramme der NSA.

Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz sagte: „Es gibt einen globalen Pakt, eben zwischen verschiedenen Ländern, diese globale Massenüberwachung zu organisieren. Aufgrund der Rechtslage, die der BND wohl für nicht mehr so passend hielt und unter bewusster Vorspiegelung falscher Tatsachen hat der BND vor der G10-Kommission diese Genehmigungen zur digitalen Massenüberwachung erwirkt. Wir haben es bisher nicht geschafft, mit demokratischen Mitteln die Totalität der digitalen Technik einzugrenzen. Bezugnehmend auf eine Äußerung der Kanzlerin, dass es nicht sein könne, dass Bürger ihre Daten selbst im Internet freigeben und der Staat keinen Zugriff darauf haben könne. Die Schlampigkeit, mit der man für zu wenig Datenschutz gesorgt hat, in den letzten zehn Jahren im Internet, in sozialen Netzwerken usw., das ist jetzt die Argumentationsgrundlage, warum auch der Staat sozusagen massenhaft auf diese Daten zugreifen kann.

Martina Renner ist ebenfalls im NSA-Untersuchungsausschuss und äußerte zusammenfassend: „Nicht überwacht zu werden, ist ein Menschenrecht und kein Bürgerrecht. Wir müssen Empörung organisieren und Zivilcourage wie die Whistleblower zeigen.“

Der Ökonom und Friedensaktivist Daniel Ellsberg ist in Deutschland auch als Whistleblower bekannt. Durch seine Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere wurde im Jahr 1971 die jahrelange Täuschung der amerikanischen Öffentlichkeit über wesentliche Aspekte des Vietnamkriegs aufgedeckt. Daniel Ellsberg sagte: „Wir haben die Infrastruktur eines Polizeistaates geschaffen.“ Der Whistleblower fordert Asyl für Edward Snowden und warnt vor geheimer Massenüberwachung, die alle rechtlos mache.

Zur aktuellen Situation im NSA-Untersuchungsausschuss und der Herausgabe der Selektorenliste wurde heute ein neues Vorhaben diskutiert. Ein Ermittlungsbeauftragter soll mit dem Segen der Bundesregierung und mit der Genehmigung der US-amerikanischen „Freunde“ die Selektorenlisten lesen dürfen. Die rechtliche Konstruktion stößt indes auf Zweifel, und das nicht nur bei der Opposition. Es ist der Plan der Bundesregierung, einen Ermittlungsbeauftragten einzusetzen, um wenigstens einige Fragen im NSA-Untersuchungsausschusses beantwortet zu bekommen. Der Ausschuss will die Filterlisten mit Telefonnummern und Mailadressen, den sogenannten Selektoren, einsehen. Die NSA hatte sie an den BND geschickt mit der Aufforderung, sie auszuspähen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst wiederum hatte einen Teil der Nummern und Adressen nicht akzeptiert. Die Bundesregierung rückt die Listen bisher nicht raus. Der Ermittler ist als Brücke gedacht, über die beide Seiten gehen sollen, um zueinanderzufinden. Es ist ein sehr wackeliges, juristisches Bauwerk.